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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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Frage ist, sagt Emma, wann die Abgeordnete bei ihrem Doppelamt zum Alleinerziehen kommt. Dass ihr Doppelamt aus der Sicht eines arbeitslosen Junglehrers ein Ärgernis darstellt, sagt die Abgeordnete, ist ihr bewusst. Sie versteht, sagt sie, dass das ein arbeitsloser Junglehrer nicht versteht oder eine alleinerziehende Mutter ohne Beschäftigung und ohne Einkommen erst recht nicht. Schön, dass Politiker so viel verstehen, sagt Emma. Sie haben Verständnis dafür, dass man kein Verständnis für sie hat. Sie verstehen alles, sagt Emma, sie verstehen und verstehen und verstehen, vierzehnmal im Jahr. Oder sechzehn. Es ist heute populär, Politiker zu beschimpfen, sagt die Politikerin. Dank ist keine politische Kategorie. In der Zeitung steht auf der nächsten Seite: Infolge Einsparungsmaßnahmen wieder hundert Junglehrer arbeitslos, im Land insgesamt siebenhundert Junglehrer arbeitslos! Und auf der übernächsten Seite: Katastrophale Situation auf dem Arbeitsmarkt! Sag was, sagt sie, was soll ich sagen?, sag ich.
    Und wie war dein Tag?, frag ich. Nachhilfe, Nachhilfe, Nachhilfe. Die Termdarstellung einer Polynomfunktion vierten Grades aufgestellt, sagt Emma, deren Graph symmetrisch bezüglich der zweiten Achse ist, durch den Punkt P geht und im Punkt Q eine zur ersten Achse parallele Tangente hat. Ich verstehe. Dann einer Kugel einen geraden Kreiszylinder von größtem Volumen eingeschrieben und berechnet, in welchem Verhältnis die Volumina der beiden Körper stehen. Die Gleichung einer Ellipse in erster Hauptlage, von der der Nebenscheitel und der Brennpunkt gegeben sind, aufgestellt, die Ellipse mit einer Exponentialfunktion geschnitten und aus dem entstandenen Flächenstück durch Rotation um die x-Achse einen Drehkörper erzeugt und dessen Volumen berechnet.
    Am Vormittag geht Emma routinemäßig aufs Arbeitsamt und wartet routinemäßig zwei Stunden am Gang, um anschließend sich und außerdem vorschriftsmäßig zu melden, dass es sie leider immer noch gibt, dass sie noch immer nicht das große Los gezogen, reich geerbt oder eine Million im Lotto gewonnen hat und daher noch immer gerne eine geregelte Arbeit und ein geregeltes Dienstverhältnis und ein geregeltes Einkommen hätte. Noch immer würde sie gerne dienen. Noch immer würde sie ihr Leben und ihr Dasein gern verkaufen und an den Mann bringen, nach Möglichkeit halbwegs ihrer Qualifikation entsprechend. Auf der Tür des Büros ihrer Betreuerin steht  Wir sind immer für Sie da!.  Wenn man zwei Stunden vor dieser Tür steht, kann man den Satz sehr oft lesen. Emmas Betreuerin hat gemeinsam mit Emma Mathematik studiert, dann aber, wie Emma sagt, im Unterschied zu ihr gleich einen kennengelernt, der einen kennt, der einen kennt, der den Arbeitsmarktservicelandesgeschäftsführer kennt, so eine glückliche Fügung, sehr geschickt. Anstatt Arbeitslosigkeitsnehmer gleich Arbeitslosigkeitsgeber, so ein Glück. Emma hat bloß mich kennengelernt, einen jungen Künstler, einen einkommenslosen Weltverächter und Misanthropen, eine verkrachte Existenz, nicht sehr geschickt.
    Das Arbeitsamt ist alt und hässlich und grau, aber nicht mehr lange, denn schräg gegenüber wird ein neues, schönes, himmelblaues Arbeitsamt gebaut, viel größer und pompöser und eindrucksvoller als das alte, und vielleicht wird Emma schon nächstes Jahr in dieses neue, schöne, eindrucksvolle, himmelblaue Arbeitsamt gehen dürfen müssen. Emmas Betreuerin sagt, wir sind immer für Sie da, aber wir können nichts für Sie tun. Sie ist ja nicht der liebe Gott, sagt sie, nein, für die Krankenscheine ist sie nicht zuständig, zweiter Stock links, Zimmer 216, am Gang warten, hinten anstellen, zwei Stunden warten.
    Mit Parteien verkehrt die Betreuerin prinzipiell per Sie, Dienst ist Dienst, und seufzen kann sie, regelmäßige Seufzerseminare, Fortbildungsprogramme des  AMS  für seine Mitarbeiter,  Zur Psychologie der Absage , also seufzt sie. Warum haben Sie auch studieren müssen?, fragt die Betreuerin hinter ihrem Schreibtisch aus Mahagoni. Wir haben auch ohne Sie schon viel mehr Geist erzeugt als wir jemals verwenden können. Haben Sie denn keine Ideen? Nur Geist?
    Ideen entwickeln? Innovativ sein in einem Land, in dem es weder Wirtschaft noch Industrie gibt, weder Kunst noch Kultur und in dem sämtliche Menschen wie Marionetten ausnahmslos am Gängelband der allmächtigen Parteien hängen?
    Na! Na! Na! In Ihrer Lage nur nicht arrogant werden! Ideen müssen Sie selber haben! Ideen

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