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Absturz

Absturz

Titel: Absturz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gstaettner
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gekommen ist, dass er deine Geschichte kauft und veröffentlicht, trudelten im folgenden Jahr mehrere solcher Briefe aus Deutschland ein: von der  Stuttgarter Zeitung , von der  Süddeutschen Zeitung , von der  Zeit , von  Lettre International . Die Münchner drucken dich jetzt sogar regelmäßig. Zum ersten Mal verdienst du mit deinen Sachen Geld.
    Du kannst dein Glück kaum fassen. Sonst auch niemand. Es fällt gar niemandem auf, jedenfalls hier nicht. Du denkst dir: Deine Stadt wird zu klein für dich. Aber anstatt sie zu verlassen, willst du die Stadt größer machen: ein aussichtsloses Unterfangen. Verlage aus der Hauptstadt melden sich: Das erste Buch kommt auf den Markt, in rascher Folge ein zweites, drittes, viertes, fünftes, sechstes. In allen Städten des Landes findet man Jan Philipp Möller in den Auslagen der Buchhandlungen. Du wirst zu Lesungen und Kongressen im ganzen Land eingeladen, später auch ins Ausland. Da und dort werden dir Literaturpreise zuerkannt, um die du dich beworben hast. Sie sind immerhin so dotiert, dass du sie nicht mehr in Stelzen umrechnest. Die großen Preise freilich werden verliehen, ohne dass man sich bewirbt. Dazu muss man auserwählt sein. Da heißt es weiter warten, warten, warten. Aber scheinbar hält man dich für keinen absoluten Niemand mehr.

6
    H auptstadt! Weltstadt! Theaterwelthauptstadt! Ein Theater neben dem anderen! Links ein Theater, rechts ein Theater, oben ein Theater, unten ein Theater, Theater wohin man schaut. Abend für Abend hebt sich Vorhang um Vorhang. Überall wird gespielt. Aus der ganzen Welt kommen die Menschen hierher, um im kardinalroten Plüsch zu versinken.
    Und das größte aller Theater der Theaterwelthauptstadt ist das Volkstheater! Größer als das Burgtheater! Größer als das Akademietheater! Größer als das Raimundtheater! Größer als die Josefstadt. Und natürlich größer als das Kellertheater in den Landhauskatakomben. Niemals bis zum jüngsten Gericht wird das Volkstheater abgerissen und durch ein Pissoir ersetzt werden. Hoffe ich jedenfalls. Du verlässt das Café Raimund, wo du Eiernockerl mit grünem Salat gegessen hast, und spazierst einmal rund um die Kathedrale des gottlosen Schöpfers, und noch einmal, und noch einmal. Dem Bühneneingang gegenüber im Weghuberpark sitzt der versteinerte Raimund auf einer versteinerten Bank, hat aber noch ein Plätzchen freigelassen, da kletterst du hinauf, setzt dich und zündest dir eine Zigarette an. Leider fotografiert dich niemand. Leider versteinert dich niemand.
    Du weißt es zwar seit einem halben Jahr, aber du kannst es immer noch nicht wirklich glauben: Du wirst am Volkstheater gespielt, junger Mann! Wer sein Leben lang in dieser Stadt zubringt und die Zusammenhänge und Hintergründe kennt und hinter die Kulissen blickt, wird immer einen Grund zu Schmähung und Erniedrigung, Abwertung und Miesmachung finden. Wer das Gemauschel und die Intrigen kennt, wird wissen, dass nicht alles Gold ist, was in der glänzenden Stadt glänzt. Und er wird nicht gleich in vorauseilende Hochachtung und Begeisterung ausbrechen. Das Volkstheater hat viele Spielorte, den Plafond, den Roten Salon, den Rauchersalon, und es gastiert sogar in den Außenbezirken.
    Aber das geht dich nichts an. Du wirst am großen Haus gespielt! Am großen Haus!!! Auf der großen Bühne!!! Vor tausend Plüschplätzen!!! Und deswegen verwandelt sich jetzt alles hier zu Gold. Das Volkstheater bis hinauf zu seiner Kuppel pures Gold! Das Kunsthistorische, das Naturhistorische, der Messepalast daneben: Goldgoldgold. Die Museumsstraße, die Burggasse, die Neustiftgasse: Goldgoldgold. Das Raimunddenkmal, das Café Raimund, der Würstelbrater, das Neubaukino und die U-Bahn-Station so golden wie der goldene Johann Strauß im Stadtpark! Midas mein Name, sehr erfreut! Das Innenministerium muss auch irgendwo hier in der Nähe sein. Na, egal.
    Ich packe jetzt einmal die Trommel aus und mache einen kleinen Trommelwirbel, denn oben auf dem Dach, vor der Kuppel des Volkstheaters, ist ein Riesentransparent angebracht, auf dem in Riesenlettern schwarz auf weiß zu lesen ist:  HEUTE: JAN PHILIPP MÖLLER . Nein, ich trommle gleich den Zarathustra von Richard Strauss. Bamm! Bamm! Bamm! Bamm! Und Beethoven hinterher: Bammbammbammbamm!
    Im ganzen Land sitzen die Menschen nach einem langen Arbeitstag müde vor ihren Fernsehgeräten und drohen einzuschlafen. Aber plötzlich schrecken sie hoch und trauen weder ihren Ohren noch ihren Augen. Denn

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