Abteil Nr. 6
baumlosen, starren Taiga lagen unterm Schnee begrabene Dörfer, dampfende Kolchosen, rauchende Staatsgüter, neben deren Viehställen sich ganze Berge von Schwarzbrot häuften.
Die Straße endete, und vor dem Pobeda lag eine Art Militärstraße, von einer Planierraupe geplättet. Der Mann trat aufs Gas, dann sofort auf die Bremse und wieder aufs Gas. Die Sonne erhellte die ganze Landschaft, um in der nächsten Kurve hinter eine Wolkenbank zu springen. Bald blitzte sie wieder über einem Wäldchen auf, das in steifen Schnee gepackt war. Am Straßenrand sah man ein halb von einer Wehe begrabenes Motorrad, der angehängte rote Schlitten beladen mit beschneiten Stämmen. Der Pobeda schaukelte von einem Schlagloch ins nächste, dann drehten die Räder kurz auf der vereisten Oberfläche durch, bis es mit Gewimmer erneut ein paar Meter weiterging. Der Mann malträtierte die Kupplung, die junge Frau zitterte auf der Rückbank. Sie war mit Mitka in einem verschlafenen Museum gewesen, in der letzten Sitzreihe eines Kinos, im Straßengewimmel, im Gang eines schaukelnden, knarrenden Vorortzuges, am Aufzugsschacht eines Wolkenkratzers, am Ufer der Moskwa, wo die Lastwagen über die vielspurige Uferstraße röhrten, am Ecktisch einer Cocktailbar, immer auf der Suche nach »unseren« Orten. Das in Schnee gepackte Wäldchen verwandelte sich in einen niedrigen Birkenbestand. Ein einzelner Lichtstrahl stach zwischen den Bäumen hindurch, dann ein zweiter, und wenige Kilometer später erleuchtete eine kraftvolle Sonne die schneebedeckte Ebene.
An einer Straßenbaustelle wichen sie den Maschinen aus, die eine stellte ein Gespann aus Motorrad und Schneepflug dar, die andere sah wie eine Kombination aus Pkw und kleinem Bagger aus, allein die Walze glich sich selbst. In großen Metallkesseln brodelte heißes Bitum, Frauen in blauen wattierten Jacken schleppten schwere Steinlasten und blickten bösartig, die Männer hatten Zigaretten im Mundwinkel und schwangen Schaufeln mit langen Stielen. Die Maschinen husteten.
Nach der Baustelle kamen Holzhäuser. Sie bildeten ein graues Dorf, von dem eine graue, schlammige Straße ausging. Hinter dem ersten Haus tauchte eine graue, hundertköpfige Schafherde auf, gehütet von einem wettergegerbten Mann. Er saß auf einem braunen, dürren Gaul, schwenkte die Peitsche und fluchte so laut, dass man es bis ins Auto hörte. An der Straßenböschung lagen verfaulte Flachsgarben, durchgerostete Zinkeimer, gebrochene Deichseln, hart gewordene Düngersäcke, zerfetzte Rindenschuhe und Lumpenhaufen, umgekippte, vom Schlamm gemusterte Zäune, bewusstlose Säufer, die von umherstreunenden Hunden angepisst wurden.
Sie stellten das Auto vor dem Gemischtwarenladen ab und gingen die von Tausenden Schritten platt getrampelte Dorfstraße entlang. Die Kälte schlug ihnen in die Augen, wodurch ihnen die Tränen auf beide Wangen rannen, bis sie gefroren. Der Mann setzte sich auf einen vereisten Stein und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Die junge Frau ging hinter ein kleines Haus, das auf einem Hügel stand. Mit der Hand berührte sie die Hauswand. Sie war kalt, aber weich. Von der Veranda aus führte ein Weg zum Gartentor, das Eis rund um den Ziehbrunnen war aufgehackt worden. Am Brunnen stand mit gerunzelter Stirn ein verkümmerter Junge im Teenageralter, auf dessen Kopf eine abgenutzte Lammfellmütze schaukelte. Er musterte die junge Frau neugierig, den Mund leicht geöffnet, die langen Arme unbeholfen herabhängend, die kurzen Beine gespreizt.
»Führer der Komplexbrigade«, sagte der Junge und wies mit dem Fäustling auf sich.
Einen Moment später tauchte hinter dem Haus ein schwarzes Pferd auf, das einen roten Schlitten zog. Auf dem Schlitten sah man zwei Holzbottiche, aber keinen Fuhrmann. Der Junge mit der gerunzelten Stirn drehte die quietschende Kurbel am Gemeinschaftsbrunnen, füllte die Bottiche, schnappte sich die Zügel und beförderte das eiskalte Wasser zu einem in einiger Entfernung stehenden Haus.
Die Gebäude im Dorf sahen einander scheu an. Sie waren im Einklang mit der sie umgebenden Natur gebaut worden, und da man sie nicht gestrichen hatte, verschmolzen sie vollkommen mit der flachen Landschaft. Man hatte Balken auf Balken gelegt, in gleichmäßigen rhythmischen Reihen beiderseits der Dorfstraße, die Zäune waren Stakete für Stakete errichtet worden. All das konnte man sehen, obschon die Zeit bereits daran vorbeigezogen war und die Natur sich bald alles zurückholen würde. Hier, wo
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