Abzocker
bei seinem Kreuzworträtsel am Frühstückstisch, mit dem Bleistift in der Hand, der Zeitung vor sich und einer Tasse Kaffee neben dem rechten Ellbogen. Ich fragte mich, ob er wohl an diesem Morgen etwas im Lexikon nachschlagen musste, ob das Rätsel schwierig oder einfach war.
Drei Türen von seinem Haus entfernt bremste ich, legte den Leerlauf ein und zog die Handbremse. Den Motor ließ ich laufen. Von hier aus konnte ich sein Haus sehen, die schwere Eichentür und den mit Platten gepflasterten Weg. Hoffentlich konnte er mich nicht sehen.
Ich hatte Lust auf eine Zigarette. Es gab keinen Grund auf der Welt, warum ich jetzt keine Zigarette rauchen sollte, doch ich erinnerte mich daran, was Kriminallabors mit Zigarettenasche alles anstellen konnten. Ich wusste, dass es keine Rolle spielte. Meinetwegen konnten sie alles über mich wissen; was für eine Zigarettenmarke ich rauchte, was für Zahnpasta ich benutzte, um beim Küssen frischen Atem zu haben, ob ich Boxershorts oder Slips trug. Sie konnten dennoch nicht herausbekommen, wer ich war. Es gab nichts, das mich mit Brassard verband. Nichts, das die Bullen auf meine Fährte führen konnte. Selbst wenn sie eine komplette Beschreibung meiner Person hätten, würden sie nicht weiterkommen.
Trotzdem rauchte ich die Zigarette nicht.
Stattdessen rückte ich meine Krawatte gerade, auch wenn sie gar nicht schief saß, und musterte mich sehr genau im Rückspiegel. Mein Spiegelbild war cool und ruhig, ein Beispiel der Gelassenheit. Das war eine Lüge.
Ich wartete. Ich wünschte, er würde sich mit seinem Kreuzworträtsel beeilen. Und wartete weiter.
Dann kurbelte ich das Fenster am Beifahrersitz herunter. Ich knöpfte das Jackett auf und zog den Revolver aus dem Hosenbund. Ich nahm ihn in die rechte Hand und legte meinen Zeigefinger um den Abzug. Es war ein sehr seltsames Gefühl, die Waffe mit einem Handschuh an der Hand zu halten. Ich konnte jedes Detail von ihr spüren, aber der Handschuh, diese dünne Schicht zwischen Haut und Metall, schien mich ein wenig aus dem gewalttätigen Szenario zu entfernen. Der Handschuh, und nicht meine Hand, hielt die Waffe. Der Handschuh, und nicht mein Finger, würde den Abzug betätigen.
Ich verstand jetzt, warum Generale keine Schuld empfanden, wenn ihre Piloten Zivilisten bombardierten. Und ich war froh, dass ich die Handschuhe trug.
Acht Uhr fünfundvierzig.
Die Eichentür schwang auf, und ich sah ihn, in seinem Geschäftsanzug, die Aktentasche unter den Arm geklemmt. Sie hatte ihn zur Tür gebracht und wirkte wie das typische Heimchen am Herd mit ihren Lockenwicklern in den Haaren. Er wandte sich um, und sie küssten sich kurz. Aus irgendeinem Grund konnte ich ihm diesen letzten Kuss nicht verübeln. Ich war beinahe froh, dass er ihr noch einen Abschiedskuss gegeben hatte. Vielleicht hatten sie in der letzte Nacht miteinander geschlafen. Vor ein paar Tagen hätte mich der Gedanke krank gemacht. Jetzt machte es mir überhaupt nichts aus. Für ihn war es das letzte Mal. Er sollte noch einmal alles bekommen, was er kriegen konnte.
Sie wandte sich von ihm ab. Die Tür schloss sich. Ich löste die Handbremse und legte den Gang ein.
Ich atmete nicht, während er den Plattenweg zur Straße hinunterging. Inzwischen war sie schon in einem anderen Zimmer, vielleicht zusammen mit einem der Mädchen. Oder sie wartete, ob es heute geschehen würde, stand vielleicht am Fenster, um in morbider Faszination zuzusehen. Hoffentlich war sie nicht am Fenster. Ich wollte nicht, dass sie zusah.
Er erreichte die Straße und wandte sich von mir ab, in Richtung Bahnhof. Ich fuhr ihm nach. Langsam.
Für einen Mann seines Alters ging er ziemlich schnell. Falls er den Ford hörte, ließ er es sich nicht anmerken. Mit einem Arm hielt er die Aktentasche, der andere schwang an seiner Seite. Die Waffe fühlte sich kalt an, selbst durch den Gummihandschuh.
Jetzt hatte ich ihn eingeholt, bremste schnell und beugte mich über den Sitz in seine Richtung. Er wandte sich um, als er das Geräusch der Bremsen hörte – nicht schnell, nicht verängstigt, sondern einfach verwundert, was da los war. Ich richtete die Pistole auf ihn und drückte ab. Die ganze Zeit über hatte totale Stille auf der ruhigen Straße geherrscht. Der Schuss ließ diese Stille explodieren, er war viel lauter, als ich angenommen hatte. Mir war, als hörte jeder Mensch auf der ganzen Welt zu.
Wahrscheinlich war die erste Kugel schon tödlich. Sie traf ihn ein paar Zentimeter unter dem
Weitere Kostenlose Bücher