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Abzocker

Abzocker

Titel: Abzocker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Block
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Herzen in die Brust, und er sank auf die Knie. Der Ausdruck in seinem Gesicht zeigte vollkommene Verwunderung, fast schien er gekränkt. Die Aktentasche fiel zu Boden. Ich wollte nicht noch einmal schießen. Einmal war genug. Der eine Schuss würde ihn töten.
    Aber Profikiller arbeiten nicht so. Profikiller überlassen nichts dem Zufall.
    Genauso wenig wie ich.
    Ich verschoss das gesamte Magazin. Die zweite Kugel traf ihn in den Magen, und er brach zusammen. Die dritte Kugel verfehlte ihr Ziel, die vierte riss ihm den halben Kopf ab. Auch die fünfte und sechste erwischten ihn, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wo.
    Ich schleuderte die Pistole nach ihm. Dann trat ich das Gaspedal bis zum Boden durch, falls es doch neugierige Zeugen gab, und der Ford schoss davon, auch wenn er nicht dafür gebaut war. Ich fuhr geradeaus über zwei Kreuzungen mit voll durchgedrücktem Gaspedal, bog dann auf zwei Rädern um eine Ecke, beruhigte mich ein wenig und verlangsamte das Tempo des Fords auf gemächliche vierzig Stundenkilometer.
    Ich schwitzte wahnsinnig, und meine Hände juckten in den Handschuhen. Ich musste mich zusammenreißen, damit ich nicht zu schnell fuhr. Aber ich schaffte es. Die Fahrt zum Bahnhof dauerte sieben Minuten, exakt, wie ich ausgerechnet hatte.
    In der Nähe des Bahnhofs parkte ich. Ich schaltete den Motor ab und zog die Handbremse. Dann stieg ich aus, schloss die Tür, streifte die Gummihandschuhe ab und warf sie auf den Rücksitz. Ich wischte mir die Hände an der Hose ab und bemühte mich, ruhig zu bleiben.
    Dann ging ich in den Bahnhof. Am Bahnsteig war ein Zeitungsstand, und ich kaufte mir für fünf Cent die Times und wartete auf den Zug. Ich musste mich dazu zwingen, die Schlagzeilen zu lesen. Castro in Kuba hatte wieder Privateigentum konfisziert. In Chile hatte es ein schweres Erdbeben gegeben. Keine Morde. Noch nicht.
    Der Zug kam. Ich stieg ein und fand einen Sitzplatz. Ich saß in einem Raucherabteil und steckte mir eine Zigarette an. Ich brauchte sie dringend. Ich schlug den Wirtschaftsteil der Zeitung auf und studierte Reihe um Reihe von eng gedruckten, völlig bedeutungslosen Zahlen.
    Ich sah mich um. Niemand interessierte sich für mich. Dutzende von Männern in Anzügen saßen da und lasen die Times, und keiner warf mir auch nur einen Blick zu. Warum sollten sie auch? Ich sah genauso aus wie alle anderen.

9
    Es sind die Kleinigkeiten im Leben, an die man sich erinnert. Ich habe zum ersten Mal mit einer Frau geschlafen, als ich gerade siebzehn geworden war. Die Frau ist völlig aus meinem Gedächtnis verschwunden. Ich weiß nicht, wie sie aussah, wie sie hieß, ich weiß nur noch, dass sie um die dreißig gewesen sein muss. Ich kann mich auch an den eigentlichen Akt nicht mehr erinnern. Wahrscheinlich war es lustvoll gewesen. Aber ich weiß nicht mehr, ob ich Lust empfunden habe. Ich glaube auch nicht, dass Lust etwas damit zu tun hatte. Es war eine Grenze, die überschritten werden musste, und ob ich dabei Lust empfand oder nicht, war zum damaligen Zeitpunkt belanglos.
    Aber ich erinnere mich an etwas, das sie nachher sagte. Wir lagen nebeneinander – auf ihrem Bett, nehme ich an – und mir ging durch den Kopf, dass ich jetzt ein Mann war. »Gott«, sagte sie, »das war ein guter!« Nicht Das war gut, sondern Das war ein guter.
    Ich muss irgendetwas gemurmelt haben, irgendetwas Dummes, denn ich erinnere mich an ihr Lachen, eine eigenartige Mischung aus Belustigung und Bitterkeit.
    »Du weißt nicht, wie verdammt gut das war«, sagte sie. »Du bist viel zu jung. Ein guter Liebhaber, aber zu jung, um zu wissen, was du da eigentlich machst.«
    Ich weiß nicht, was das beweist, wenn es überhaupt eine Bedeutung hat. Doch das menschliche Gedächtnis trifft eine seltsame Auswahl. Der Akt selbst hätte bedeutungsvoll sein müssen, etwas, woran man sich erinnert. Aber er hinterließ keinen Eindruck bei mir. Nur das Gespräch ist mir im Gedächtnis geblieben.
    Genauso war es mit dem Mord. Ich spreche jetzt von dem Eindruck, nicht von der Erinnerung. Aber das läuft ziemlich auf dasselbe hinaus. Ich hatte einen Mann getötet. Mord, so habe ich gehört, ist eine sehr traumatische Angelegenheit. Soldaten und bezahlte Killer gewöhnen sich manchmal daran, aber das dauert eine Weile. Ich hatte nie zuvor getötet. Und jetzt, nach sorgfältiger Planung und gewissenhafter Ausführung, hatte ich eine Waffe auf einen Mann gerichtet und das Magazin in ihn geleert. Zugegeben, in sozialer Hinsicht war

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