Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Abzocker

Abzocker

Titel: Abzocker Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lawrence Block
Vom Netzwerk:
auf der Suche nach einer tränenreichen Homestory würden sie noch belästigen. Alle würden verstehen, dass sie sich weigerte, diese Art Reporter zu empfangen. Wenn sie dann das Haus zum Verkauf anbot und nach Florida verreiste, um all das Schreckliche hinter sich zu lassen, würde das niemanden besonders verwundern. Und niemand würde sich etwas dabei denken, wenn sie mich vier oder fünf Monate später heiratete, weil sie die schrecklichen Ereignisse allmählich überwunden hatte. Die Geschichte war in sich vollkommen konsistent, und das war das Wichtigste. Konsistenz. Man kann eine ganze Welt von Lügen aufbauen, solange die neuen Lügen den alten nicht widersprechen. Man kann ein meisterhaftes Gebilde aus reiner Logik aufbauen, auch wenn man mit einer falschen Voraussetzung beginnt. Alles, was es dafür braucht, ist Konsistenz.
     
    An diesem Abend sah ich mir einen Film an. Bis zu diesem Zeitpunkt war der ganze Tag völlig unwirklich gewesen. Ich hatte wieder nichts zu tun außer zu warten. Ich kam mir nur halb lebendig vor, als befände ich mich in einer Art Winterschlaf, ohne dass ich wirklich schlafen konnte. Die ganze Zeit hatte ich Pläne geschmiedet, dann die Pläne in die Tat umgesetzt und mich auf der Flucht befunden. Nun passierte gar nichts, ich hatte nichts zu tun, und ich hielt es kaum aus. Deshalb wollte ich nun einmal nicht die Zeit im Kino totschlagen, sondern etwas erleben. Es war der Versuch, meine eigene Passivität gegen die Aktivität der Bilder auf der Leinwand einzutauschen.
    Vielleicht schaute ich mir aus diesem Grund den Film aufmerksamer an als sonst. Es war ein alter Hitchcock-Film, der mich sofort in seinen Bann schlug. Der Wechsel zwischen Spannung und Humor, zwischen brutalen und lächerlichen Szenen war erstaunlich wirksam. Aber diesmal achtete ich auch auf die eigentliche Handlung unter der Oberfläche, und ich erkannte bald, wie hanebüchen sie war, ein Gespinst absurder Zufälle, zusammengehalten durch ein hervorragendes Drehbuch, gute Schauspieler und einen erstklassigen Regisseur.
    Später, als ich im Bett lag und versuchte einzuschlafen, erkannte ich etwas. Ich stellte mir einen Film vor, in dem der Held zwei Koffer stiehlt, und in einem findet er ein Vermögen an Heroin. Dann lernt derselbe Held zufällig ein Mädchen kennen, das sich dann später als die Frau des Mannes entpuppt, dem die Koffer und das Heroin gehören.
    Reiner Zufall?
    Mehr als das. Es war beinahe unglaublich. Mindestens ebenso weit hergeholt wie der Hitchcock-Film. Dennoch hatte ich es im wahren Leben als Zufall hingenommen, weil es mir selbst zugestoßen war. Mit den Zufällen in dem Hitchcock-Film war das anders. Sie waren nicht im wirklichen Leben passiert, sondern nur auf der Leinwand.
    Der Gedanke war interessant. Unter diesem Gesichtspunkt hatte ich die Geschehnisse bisher noch nicht betrachtet, und ich zerbrach mir einige Zeit den Kopf darüber.
     
    »Möchten Sie eine Zeitschrift, Sir?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Kaffee? Tee? Milch?«
    Wieder schüttelte ich den Kopf. Die Stewardess, hübsch und gesichtslos wie die Schönheitskönigin von Rheingold Beer, schlenderte weiter, um jemand anderen zu belästigen. Ich blickte aus dem Fenster zur Erde und sah nur Wolken unter mir. Wenn man über ihnen fliegt, sehen sie nicht wie weiße Baumwollbäusche aus, sondern einfach wie formloser, verhältnismäßig dichter Nebel. Ich starrte noch ein paar Sekunden hinaus, doch so spannend waren die Wolken dann auch wieder nicht. Ich sah weg.
    Es war Samstagmorgen. Das Flugzeug war ein Düsenjet und flog direkt nach Miami, voraussichtliche Ankunftszeit war ein paar Minuten nach zwölf. Am Abend zuvor hatte ich im Eden Roc angerufen und ein Einzelzimmer reserviert. Es stand für mich bereit. Ich hatte Glück gehabt. Früher einmal waren die Sommer in Miami Beach ruhig gewesen. Jetzt ist die Sommersaison nahezu ebenso ausgebucht wie die Wintersaison, allerdings sind die Preise wesentlich niedriger.
    »Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit.«
    Ich hörte die Männerstimme aus dem Lautsprecher kommen und fragte mich, was passiert sein mochte. Ich erinnerte mich, dass ich mich in einem Flugzeug befand und dass Flugzeuge hin und wieder aus keinem bestimmten Grund einfach so abstürzen. Ich fragte mich ganz ruhig, ob wir abstürzen würden.
    Dann aber fuhr dieselbe Stimme – die des Piloten – fort, mir zu erzählen, dass wir uns in einer Flughöhe von soundso vielen Fuß befanden, dass die Temperatur in Miami soundso

Weitere Kostenlose Bücher