Acacia 01 - Macht und Verrat
doch das helle Nachmittagslicht ließ ungewohnte Einzelheiten seines Gesichts deutlich hervortreten. Seine Augen hatte das gerötete Aussehen des regelmäßigen Nebelrauchers. Gleichwohl waren sie wach und aufmerksam, der Verstand dahinter ungetrübt. Hanish hatte nie verstanden, weshalb sie die Droge nahmen. Offenbar benutzten sie sie zu anderen Zwecken als die betäubten Massen.
Die Angehörigen der Gilde berührten andere nicht zur Begrüßung, deshalb traten die beiden Männer lediglich aufeinander zu und verneigten sich. »Jedenfalls«, fuhr Sire Dagon fort, »bin ich froh, dass ich Euch hier antreffe und nicht irgendeinen Emporkömmling. Es heißt, Ihr könntet jederzeit zu diesem Tanz herausgefordert werden. Wie nennt ihr ihn gleich noch?«
Hanish wusste sehr gut, dass Sire Dagon der Name des Tanzes bekannt war. Die Gildenleute hatten ein phänomenales Gedächtnis. »Den Maseret«, antwortete er.
»Ja, genau. Der Maseret. Nehmt es mir nicht übel, wenn ich vorschlage, diesen Brauch abzuschaffen. Eure Tapferkeit steht außer Zweifel, aber es ist ein Fehler, die Männer Eures Volkes glauben zu machen, sie könnten das, was Ihr Euch erkämpft habt, für sich gewinnen. Wozu die Menschen mit dieser Möglichkeit in Versuchung führen? Das könnte ehrgeizige Narren dazu verleiten, Euch herauszufordern.«
Das haben schon einige getan, dachte Hanish. Seit er nach Acacia gekommen war, hatte er fünfmal getanzt, was bedeutete, dass fünf seiner eigenen Leute unter seiner Klinge gestorben waren. Jeder von ihnen hatte nach der Macht gestrebt. Jeder hatte gehofft, mit einem einzigen Mord alles zu gewinnen. Auch dies war Sire Dagon sicherlich bekannt. Unnötig, es anzusprechen. »Es ehrt mich, dass es der Gilde nicht gleichgültig ist, wer ihr Gesprächspartner ist.«
»Ihr habt Eurem Volk die Welt geschenkt, über die es jetzt herrscht. Die Gilde vergisst das nicht, selbst wenn einige in Eurer Umgebung es tun. Ich persönlich bewundere Eure Zielstrebigkeit. Und, ja, Hanish, das ist ein Kompliment. In meinem Alter wecken nur wenige Dinge mein Interesse. Mein Freund, selbst meinen Reichtum mehre ich mehr aus Gewohnheit als aus Ehrgeiz.«
Hanish bezweifelte, dass selbst der unmittelbar bevorstehende Tod die Raffgier eines Gildenvertreters auszulöschen vermochte, doch ließ er sich nichts anmerken. Auch auf den Hinweis auf andere aus seiner Umgebung ging er nicht ein. War das als Spott gemeint, oder sollte es eine Warnung sein? Er bedeutete dem Besucher, sich in den Schatten zu begeben.
Sie nahmen einander gegenüber auf hochlehnigen Lederstühlen Platz. Zwischen ihnen stand ein mit senivalischen Schnitzereien verzierter Tisch. Diener brachten Tabletts mit Speisen und Getränken. Die beiden Männer unterhielten sich eine Weile und taten so, als fühlten sie sich wohl in der Gesellschaft des anderen, wie alte Freunde, die nichts Dringenderes zu tun hatten, als sich ausführlich über den acacischen Frühling, den bevorstehenden Schwalbenzug und die gesundheitsfördernde Wirkung der Meeresluft auszulassen. Hanish kam der Aufschub gelegen. So hatte er Gelegenheit, Sire Dagon genau zu studieren, nicht nur darauf zu achten, was dieser sagte, sondern auch, wie er es tat, nach Gedanken Ausschau zu halten, die durch Gesten seiner Hände oder die Betonung einzelner Worte verraten wurden. Ihm war klar, dass der Gildenvertreter ihn einer ähnlichen Musterung unterzog.
»Also, Sire Dagon, Ihr seid erst kürzlich von der anderen Seite der Welt zurückgekehrt?«
»Ja, ich bin von der anderen Seite der Welt zurückgekehrt.«
Wie schon so oft, hätte Hanish den Gildenmann gern über die Fremden ausgehorcht, die Lothan Aklun. Wer waren diese Menschen, die einen solch entscheidenden Einfluss auf das Geschick der Bekannten Welt ausübten? Bei seinem Kampf gegen Leodan Akaran waren sie in gewisser Weise seine Verbündeten gewesen, doch er hatte noch nie einem von ihnen von Angesicht zu Angesicht gegenübergestanden und kannte weder ihre Gebräuche noch ihre Geschichte. Er kannte noch nicht einmal einzelne Namen. Sie lebten auf einer Inselkette, die dem als Anderland bekannten Kontinent vorgelagert war, hatten kein Bedürfnis danach, etwas mit der Bekannten Welt zu schaffen zu haben, und gaben sich mit dem Wohlstand zufrieden, den die Quote ihnen sicherte. Soviel Hanish wusste, hatte niemals einer von ihnen die Grauen Hänge überquert; das tat die Gilde an ihrer Stelle.
In den ersten Jahren an der Macht hatte er wissen wollen, mit wem
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