Acacia 01 - Macht und Verrat
Hügeln oberhalb des abgelegenen Bergdorfs fast wie in einem Kerker. Er band ihm Hände und Füße ans Bett, zurrte einen breiten Tuchstreifen um seinen Rumpf, setzte sich neben ihn und erklärte, dass er seine Dienste dringend benötigte. Er könne jedoch erst dann mit ihm darüber sprechen, wenn Leekas Geist und sein Körper von der Sucht befreit seien. Leeka beschimpfte ihn, verwirrt und verängstigt von dem Tumult, der sich in seinem Körper abspielte.
Einmal, als sich sein Blick so weit klärte, dass er seinen Bewacher auf sich herabblicken sah, erklärte er mit absoluter Gewissheit, dass er im Sterben liege. Diese Tortur könne er nicht überleben.
»Seht Ihr das?«, fragte Thaddeus und hielt ihm seine Hand vors Gesicht. Am kleinen Finger war ein Dorn befestigt. »Dieser Dorn wurde in ein Gift getaucht, das so stark ist, dass es tötet, ehe das Opfer den Stich spürt. Es wirkt ebenso schnell wie das Gift, mit dem ich Euch überwältigt habe, ist aber tödlich. Ich lasse den Dorn hier neben Euch liegen. Wenn Ihr wirklich nicht ohne Euren Nebel und Euren Wein leben könnt, benutzt ihn. Wenn Ihr zu stolz dazu seid, könnt Ihr mich auch im Schlaf damit töten. Raubt mir, was ich an Münzen in den Taschen habe, und lauft weg. Überlasst das Schicksal der Welt den Mein. Verzichtet auf Größe. Dies alles liegt in Eurer Macht, wenn Ihr Euch dafür entscheidet. Wenn Ihr mich tötet, wäre das nicht einmal ein Verbrechen; es wäre ein Geschenk. Seht Ihr, ich habe meine eigenen Dämonen, die mich quälen. Wir können gemeinsam feige sein.«
Der alte Mann zog die Waffe von seinem Finger und legte sie auf den Schemel, auf dem er saß. Er band seinem Schützling Arme und Beine los, löste den Tuchstreifen und entfernte sich. Leeka war sich ziemlich sicher, dass Thaddeus ungeachtet seiner Weisheit niemals ahnen würde, wie nahe er daran gewesen war, ihm den Dorn in den Hals zu bohren. Er lechzte geradezu danach. Er stellte sich vor, wie er die Münzen an sich nahm und zum Dorf hinunterging, jede einzelne Handlung, die er hinter sich bringen müsste, bis er sich einen Pfeifenschlauch in den Mund stecken und den Nebel inhalieren könnte. Was ihn davon abhielt, vermochte er nicht zu sagen.
Als er am nächsten Morgen erwachte, weinte er. Ohne einen einzigen Zweifel wusste er, dass er ganz allein auf der Welt war. Schuld daran hatte er selbst. Das Schicksal der Völker mochte sein Leben gebeutelt haben, doch es war seine Schuld, dass er niemals eine Frau geliebt, niemals Kinder gezeugt, die Welt niemals voller banger Hoffnung für seine Enkel betrachtet hatte. Hätte er irgendetwas davon getan, so hätte er das Leben vielleicht besser verstanden. Es war ihm ein Rätsel, wie er so viele Jahre hatte leben können, ohne zu begreifen, dass der Wert seines Lebens letzten Endes unter dem Strich null sein würde. Vielleicht sollte er das Gift tatsächlich benutzen – für sich selbst.
»Wie ich sehe, habt Ihr das Selbstmitleid noch nicht ganz überwunden«, unterbrach Thaddeus seinen Gedankengang.
Leeka wälzte sich auf die Seite, damit er den Mann sehen konnte, der auf dem Schemel saß, in der ausgestreckten Hand ein Tuch. Leeka nahm das Tuch und wischte sich das Gesicht ab. Ihm war klar, dass ihm das Ganze hätte peinlich sein sollen, doch er fühlte keine echte Verlegenheit. Thaddeus fragte ihn, ob er etwas essen wolle; Leeka hörte sich bejahen.
»Gut«, sagte Thaddeus. »Das ist die richtige Antwort. Ich habe Suppe gekocht. Mit Kräutern und Pilzen von den Hügeln. Aber ich glaube, sie wird Euch schmecken. Wir teilen uns die Suppe, und dann können wir uns über die Arbeit unterhalten, die ich für Euch habe.«
Später würde er häufig daran denken, wie seltsam es doch war, dass man sich den Tod wünschen konnte und sich im nächsten Moment mit ein paar freundlichen Worten, von einem angebotenen Taschentuch oder einfachem Essen, das einen leeren Magen füllte, wieder ins Leben zurücklocken ließ. Diese Dinge trugen ebenso viel dazu bei wie alles andere, dass Leeka sich schließlich von der Sucht befreite. Nach diesem Morgen fiel es ihm niemals wieder so schwer, dem Nebel zu entsagen. Gewiss quälte ihn noch immer das alte Verlangen. Die Gier setzte ihm täglich, beinahe stündlich zu. Wieder und wieder musste er sich dagegen entscheiden. Doch er stellte fest, dass es in seiner Macht stand. Die Aufgabe, die Thaddeus für ihn hatte, verlieh ihm die Kraft dazu.
Als er von der Hütte aufbrach, hatte er den Kopf voller
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