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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Rauschen.
    Ihr Blick richtete sich kurz auf Mena, dann schaute sie vor sich zu Boden. »Da wusste ich, dass Maeben sie gestohlen hatte.«
    »Maeben stiehlt nichts«, verwahrte sich Vaminee. »Was sie sich nimmt, gehört ihr, sobald sie es berührt.«
    »Ich habe gedacht, Ria würde mir gehören«, sagte die Mutter und hob den Kopf. »Sie kam aus …«
    Vaminee hob die Stimme, um ihr das Wort abzuschneiden. »Schlag die Augen nieder! Du vergisst, wo du dich befindest. Du glaubst, deine Trauer gehöre dir allein. Du irrst dich! Trauer gehört Maeben. Was du empfindest, ist nur ein kleiner Teil dessen, was sie erduldet. Es gleicht einem einzigen Sandkorn von einem der Strände Vumus. Maeben hat dein Kind zu sich genommen, damit sie auf Uvumal Gesellschaft hat. Eines Tages wirst du begreifen, dass dies ein Geschenk ist – für das Mädchen und auch für dich. Ist es nicht so, Wütende?«
    Dies war das Zeichen, das Mena gefürchtet hatte, die Aufforderung, in das Gespräch einzugreifen. Sie erhob sich und trat mit ausgebreiteten Armen auf die beiden zu, als wollte sie sich in die Luft emporschwingen. Ihr Gesicht war so starr, wie es ihr möglich war, doch in ihrem Innern suchte sie verzweifelt nach den richtigen Worten, um die Taten der zornigen Gottheit zu rechtfertigen. Sie hatte sie noch immer nicht gefunden. Deutlich war sie sich bewusst, wie monströs ihre Schnabelmaske wirkte. Auf einmal schämte sie sich.
    Dicht vor dem Paar blieb sie stehen. Beide pressten die Stirn an den Boden. Der Mann hatte eine Tätowierung am Arm; auf dem Rücken der Frau zeichneten sich unter der Haut die einzelnen Wirbel ab. Wie sehr sie diese Menschen liebte – alle Bewohner von Vumu! Sie sah sie gern an, sie mochte den Duft ihrer Haut und die Form ihrer Münder, wenn sie lachten, die gelassene Anmut ihrer Bewegungen. Die beiden Menschen hier vor ihr repräsentierten in diesem Moment all jene, die unter der Tyrannei der Göttin lebten, die Mena verkörperte. Sie hoffte, dass sie nicht aufblicken würden. Das brauchten sie nicht zu tun. Sie konnten einfach die Gesichter auf den Boden drücken und zuhören, wie sie Maebens Taten rechtfertigte. Sie musste nur ein paar Sätze sagen und ihnen in Erinnerung rufen, dass Maeben niemandem Rechenschaft schuldig war, dass sie wegen der Kränkung, die man ihr angetan hatte, immer noch zornig auf die Menschheit sei. Es gab nichts, wofür sie sich hätte entschuldigen müssen, und später – so hatte man sie jedenfalls gelehrt – würden diese beiden ihr dankbar dafür sein, dass sie ihrem Kummer mit Stärke begegnet war.
    Die Worte, die sie schließlich sprach, überraschten sie jedoch selbst. Sie gebrauchte die Sprache, in der sie manchmal träumte, die Sprache ihrer halb vergessenen Kindheit. Sie sagte, sie täten ihr leid. Sie könne ihre Trauer nicht ermessen. Wenn sie das Unglück ungeschehen machen könnte, würde sie es tun. Sie würde ihnen ihre Tochter mit dem rundlichen Gesicht wiedergeben. Ganz bestimmt.
    »Doch das kann ich nicht«, sagte sie. »Maeben sorgt jetzt für eure Tochter. Ihr aber solltet euren Sohn jetzt doppelt lieben. Ihr habt der Göttin geopfert. Fortan wird euer Leben gesegnet sein, und euer Sohn wird euch stets Freude bereiten.«
    Als sie etwas später den Raum verließ, überlegte Mena, was der Priester wohl getan hätte, wenn ihre Worte für ihn verständlich gewesen wären. Es war schon schlimm genug, dass er sie in einer fremden Sprache hatte reden hören. Wahrscheinlich würde er sie später deswegen ausschelten, doch das machte ihr niemals so viel Angst, wie der Priester glaubte. Wenn er mit ihr sprach, stellte sie sich bisweilen vor, wie sie das alte Marah-Schwert zog, mit dem sie auf der Insel angekommen war, und ihm den Kopf abschlug. Sie sah es genau vor sich, malte sich sogar das Blut aus. Es überraschte sie, dass ihre Gedanken so gewalttätig sein konnten, aber vielleicht rührte das daher, dass sie schon so lange Maebens Zorn verkörperte.
    Sie hätte gern gewusst, ob ihre kleine Ansprache dem Paar geholfen hatte. Für sie hatten ihre Worte gewiss wie sinnloses Geplapper geklungen. Vielleicht war es ein Akt der Feigheit gewesen, ein unvollständiges Geständnis. Warum nur nahm sie in den schwierigsten Momenten immer zu jener Sprache Zuflucht?
    Als sie am Abend aus dem Haupttempel trat und zu ihrer Unterkunft ging, war sie immer noch mit diesen Gedanken beschäftigt. Zum Schutz vor dem Meereswind trug sie ein schlichtes Gewand. Ihre nackten Füße tappten

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