Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
Vom Netzwerk:
Ihr Pfeil blieb dicht neben Hanishs letztem Geschoss in der Zielscheibe stecken. Eine Feder von Hanishs Pfeil war verbogen. Sie achtete darauf, sich nicht umzudrehen und ihn anzusehen. »Und was habt Ihr ihnen versprochen?«
    »Ich habe eingewilligt, die Quote zu verdoppeln und damit auch ihren Gewinn. Vor kurzem habe ich ihnen erlaubt, sich auf den Außeninseln einzunisten, wenn sie es schaffen, die Piraten auszuräuchern. Darüber habe ich mit Sire Dagon gesprochen.«
    »Hmm«, machte Corinn nachdenklich und ein wenig sarkastisch. »So habe ich das noch nie betrachtet. Dass Ihr mit jemandem wie Dagon zusammensitzt und beiläufig über das Schicksal von tausenden Menschen entscheidet, meine ich. Erregt es Euch, solche Dinge zu beschließen?«
    Hanish neigte sich ein wenig vor. Er kam ihr nicht näher, zeigte aber damit an, dass seine Antwort nur für ihre Ohren bestimmt sei. »Sehr«, sagte er. »Was wollt Ihr sonst noch wissen? Soll ich Euch von den Sklaven erzählen, die wir übers Meer verkaufen? Oder wollt Ihr hören, wie wir den Nebel, den wir dafür bekommen, unters Volk bringen? Ich sage Euch alles, Prinzessin, wenn Ihr es hören mögt. Ich würde vorgeben, dies alles sei mein Werk, und Euer Vater, der liebe Leodan, sei nicht der größte Sklavenhändler der Welt gewesen, lange bevor ich geboren wurde.«
    Seine Stimme hatte ihren lässigen, tändelnden Tonfall beibehalten bis zuletzt, als sich ein schneidender Klang hinzugesellte. Corinn schlug den gleichen Ton an. »Ich habe kein Interesse mehr am Bogenschießen. Wieso geht Ihr nicht und tötet irgendetwas?« Sie reichte dem Knappen ihren Bogen und wandte sich ab.
    »Ihr möchtet jagen?«, fragte Hanish und fasste Corinn am Ellbogen. »Das könnt Ihr haben, gleich hier.« Er legte einen Pfeil auf, spannte die Sehne und hob den Bogen. Diesmal jedoch zielte er nicht auf die dreieckigen Zielscheiben. Als der Junge bemerkte, dass der Pfeil auf ihn gerichtet war, wurde er unruhig. Sein Blick huschte unstet umher, als hielte er Ausschau nach einem Ziel, das er bis jetzt übersehen hatte.
    »Wollt Ihr ihn auffordern wegzurennen, oder soll ich es tun?«
    »Das wagt Ihr nicht«, sagte Corinn.
    »Warum nicht? Er ist nicht mehr als mein Sklave. Wenn er umkommt, spielt allein mein Verlust eine Rolle.«
    Die Muskeln an Hanishs Unterarm wölbten sich vor, sie zitterten vor Anstrengung, die Knöchel, die den Griff umspannten, traten weiß hervor. So ein grausamer Arm. Grausam bis zu den Sehnen und den Muskeln. »Tut das nicht, Hanish«, sagte Corinn, die sehr wohl wusste, dass sie ihn nicht davon würde abhalten können. Er würde es tun. Es war ein Scherz und gleichzeitig blutiger Ernst.
    »Das sagt Ihr, aber in Wirklichkeit wollt Ihr doch, dass ich es tue. Ihr wollt sehen, wie der Pfeil ihn durchbohrt, und wollt hören, wie er schreit. Oder nicht?«
    Sie zögerte mit der Antwort. Warum sie zögerte, wusste sie nicht. Sie brauchte nicht zu überlegen. Es gab nur eine einzige Antwort, doch es fiel ihr schwer, sie auszusprechen. »Nein«, sagte sie schließlich. »Das will ich nicht.«
    »Junge«, rief Hanish, »heb die Hand!«
    Der Junge begriff nicht, was er von ihm wollte. Hanish senkte den Bogen und hob seinerseits die Hand. Der Junge tat es ihm nach. Hanish zeigte ihm, dass er die Finger spreizen solle. »Gut so, und jetzt halt still.« Er hob erneut den Bogen und zielte.
    »Hört auf damit!«, sagte Corinn, eher ein Flüstern als der Aufschrei, den sie beabsichtigt hatte.
    Er schoss. Der Junge zuckte nicht, und das war gut, denn der Pfeil ging zwischen Mittel- und Zeigefinger hindurch. Irgendwo hinter ihm schlug er ins Gras. Einfach so, es war vorbei.
    »Hat das nun etwas zu bedeuten oder nicht?«, fragte Hanish und senkte den Bogen. »Entscheidet Ihr.« Er drehte sich um und ging. Nach ein paar Schritten ließ er die Waffe fallen.
    Corinn blickte ihm nach. Sie sah zu, wie er im Wald verschwand, und ihr war, als klatschten ihm die schimmernden Kronen der Bäume mit der hellen Rinde begeistert Beifall. Er hat recht gehabt, dachte sie. Sie spürte, wie die in der Tiefe ihres Bewusstseins verborgene Wahrheit an die Oberfläche brach und ihr ins Gesicht starrte. Ein Teil von ihr hatte sich tatsächlich gewünscht, er würde den Jungen treffen. Warum sie sich das gewünscht hatte, wusste sie nicht. Nur weil sie beweisen wollte, dass es möglich war? Um zu zeigen, dass die offenkundige Gutmütigkeit des Jungen ihn vor nichts schützen konnte?
    Um zu sehen, wie ein winziges

Weitere Kostenlose Bücher