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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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im Moment kaum blicken, doch Haleeven wusste, dass sie hier irgendwo waren, außer Sichtweite, wahrscheinlich gleich hinter dem Horizont. Hätte er mehr Zeit gehabt, hätte er sein Pferd zum Galopp angetrieben und wäre in die Wildnis hinausgestürmt, von der sein Volk geformt worden war.
    Tahalia. Haleeven war überrascht, als ihm klar wurde, dass er die heimatliche Festung zumindest teilweise mit dem Blick eines Fremden sah. Die Feste sah aus wie der halb verweste Kadaver eines zottigen Tieres, das Jahre zuvor in einem Käfig aus riesigen entwurzelten, entrindeten und dunkel gebeizten Tannen gefangen worden war. Halb von Schnee bedeckt, ohne jedes Grün, ein graubrauner, in die Erde gegrabener Unterschlupf, der dem Land trotzte, das ihm noch nie wohlgesonnen gewesen war: Das war Tahalia.
    Am Tor wurde Haleeven ein bescheidener, wenn auch dankbarer Empfang bereitet. Hanishs Vetter zweiten Grades, Hayvar, verwaltete die Festung. Er war ein ansehnlicher junger Mann, allerdings war er von schmächtiger Statur und hatte einen unsteten Blick, ungewöhnlich bei einem Volk, dessen Vertreter Wert darauf legten, unter allen Umständen äußerlich gelassen zu erscheinen. Kaum hatte er seine Umarmung gelöst, bestürmte er seinen Onkel auch schon mit Fragen: Wie ging es Hanish? Hatte er in Acacia tatsächlich eine Kammer für die Ahnen vorbereitet? Wie sah es auf der Insel wirklich aus? War die Insel wirklich so prächtig, wie die zurückkehrenden Soldaten immer behaupteten? Hatten alle Frauen bräunliche Haut, ovale Gesichter und große Augen?
    »Ich bin froh«, sagte er, »dass ich es endlich mit eigenen Augen sehen werde. Ich reite mit dir zurück. Hanish ist einverstanden, das hat er mir geschrieben. Er möchte, dass wir alle dabei sind, wenn der Fluch von unseren Ahnen genommen wird.«
    Haleevens Ansicht nach schien der junge Mann allzu begierig darauf zu sein, seine Heimat zu verlassen, auch wenn seine Beweggründe durchaus ehrenwert sein mochten. Doch er war jung. Er hatte sich vom Gang der Geschichte abgeschnitten gefühlt. Waren nicht auch die Soldaten, die mit Hanish gesegelt oder mit Maeander marschiert waren, begierig darauf gewesen, das Land jenseits des Plateaus zu sehen? Hayvar war nicht anders. Wäre er bei Kriegsbeginn nicht noch ein Knabe gewesen, so wäre er schon vor Jahren fortgegangen.
    Haleeven beantwortete die Fragen des anderen, ließ jedoch seine Missbilligung durchklingen und hielt den Blick gesenkt, als er gezwungen war, die Schönheiten der Welt dort draußen zu schildern. Er fürchtete, etwas zu verraten – was genau, das wusste er nicht -, wenn er dem jungen Mann in solchen Momenten in die Augen sah.
    Dann stieg er mit Hayvar zur Brustwehr hinauf. Der Zug der Arbeiter, die sich hinter den Soldaten herschleppten, kam gerade in Sicht. Als er das raue Holz unter den Händen spürte, den harzigen Modergeruch einatmete und den Flickenteppich der Landschaft betrachtete, das unter dem Schnee zum Vorschein kommende kupferfarbene Grasland und den alles überwölbenden Wolkenhimmel, hatte er das Gefühl, endlich daheim zu sein.
    Die Wehmut überwältigte ihn. Wie sollte er erklären, weshalb dieser Anblick in nichts hinter dem funkelnd blauen Meer Acacias zurückstand? Er liebte dieses Land nicht für seine Sanftheit und seine Annehmlichkeiten. Er glaubte auch nicht mehr, dass sein Volk das beste der Welt sei. Er hatte zu viel Tapferkeit in anderen erlebt und zu viel Schönheit in fremden Dingen gesehen, um weiterhin an dieser engstirnigen Auffassung festzuhalten. Er liebte das Mein einfach deshalb … nun … weil es geliebt werden musste. Vielleicht war das ein törichter Gedanke, doch besser vermochte er es nicht zu erklären. Aber selbst wenn es ihm gelungen wäre, seine Gefühle in Worte zu kleiden, so bezweifelte er, dass der junge Mann an seiner Seite sie sich zu Herzen nehmen würde. Selbst ihre Ahnen hatten nach anderen Orten gestrebt …
    »Bruder des Heberen«, sagte eine Stimme, »die Ahnen haben dein Kommen angekündigt.«
    Haleeven wusste ohne hinzusehen, wer ihn angesprochen hatte. Er musste sich in Pelzschuhen genähert haben. Nur ein Tunishni-Priester würde ihn beleidigen, indem er ihm seinen Namen vorenthielt, und nur die Priester würden behaupten, durch die Tunishni von seiner Ankunft erfahren zu haben, während andere auf Nachrichten und Boten angewiesen waren. Seine angenehmen Träumereien zerstoben.
    »Erster Priester«, sagte er und rang sich ein Lächeln ab, »die Ahnen haben

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