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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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an wie eine gute Idee, dachte sie. Ihn sich selbst überlassen, niedergeschlagen, verschmäht. Doch sie wusste, dass das nicht funktionieren würde. Hanish war nicht leicht zu kränken. Stattdessen würde er sich etwas ausdenken, um sie beim Abendessen auf spielerische Weise zu bestrafen. Wenn sie nicht hinging, beschloss sie, würde sie eher zur Zielscheibe seines Spotts werden, als wenn sie die Einladung annahm.
    Als sie den Schießplatz erreichte, war Hanish bereits dort. Ausnahmsweise war er ohne Gefolge, nur in Begleitung eines Knappen, der die Bogen auswählte, und eines Jungen, der in einigem Abstand im hohen Gras stand und bei den Zielscheiben wartete, um die Pfeile zurückzubringen.
    »Ah, Prinzessin!«, begrüßte Hanish sie, ganz lächelnde Fröhlichkeit bei ihrem Anblick. »Ich habe mich schon gefragt … Kommt und lehrt mich, was Ihr wisst. Das ist ein Sport für Edelleute, nicht wahr? Von den Dienern habe ich gehört, dass Ihr als junges Mädchen eine ausgezeichnete Schützin wart.«
    »Früher vielleicht, aber ich bin keine gute Schützin und auch kein Mädchen mehr.«
    Er bot ihr einen Bogen an, den der Knappe ihm soeben gereicht hatte. »Nun, Ihr habt zumindest zur Hälfte recht. Über die andere Hälfte werde ich urteilen.«
    Corinn nahm den Bogen. Das polierte Eschenholz der Waffe fühlte sich gut an, ihr Schwung vertraut; der Bogen war so leicht, als bestünde er aus Vogelknochen. Sie fuhr mit dem Finger über die straffe Sehne und betrachtete sie eine Weile, ehe sie die Hand nach einem Pfeil ausstreckte.
    Sie nahm den Pfeil vom Knappen entgegen, legte ihn auf die Sehne, hob den Bogen und visierte die Zielscheibe an. Einen Finger nach dem anderen schloss sie um den Griff und nahm eine kerzengerade, aber gelöste Haltung ein, wie man es sie vor Jahren gelehrt hatte. Sie wusste, dass Hanish sie beobachtete. Es kümmerte sie nicht. Sorgsam wählte sie eine dreieckige Zielscheibe aus, die ein Stück von dem Pfeiljungen entfernt stand. Dann zog sie die Sehne bis an die Wange zurück; der Pfeil ruhte auf ihren Fingern, und der Schaft war ein gerader Pfad hinaus in die Welt. Sie löste die Finger. Der Pfeil flog. Verschwand, so schien es. Nur um Augenblicke später wieder aufzutauchen, nahe der Mitte des Ziels, das sie ausgewählt hatte.
    Hanish tat einen Ausruf. Er berührte sie am Arm und machte eine anerkennende Bemerkung zu dem Knappen, der ihm beipflichtete. Eine so tiefe Freude hatte Corinn schon lange nicht mehr empfunden. Die tödliche Präzision, die Macht, die in die Welt hinauszielte, das satte Geräusch des Einschlags und dann die Stille, der im Ziel steckende sichtbare Beweis ihrer Geschicklichkeit. Wie von selbst hob sich ihre Hand, und sie verlangte mit einem Fingerschnippen nach dem nächsten Pfeil.
    Der Nachmittag verging wie im Flug. Hanish glaubte vielleicht, er vertreibe ihr mit Worten und Gesten, mit Fragen und Komplimenten die Zeit, doch Corinns Freude und Enttäuschung wurden allein vom Flug der Pfeile bestimmt. Der Pfeiljunge lief emsig hin und her. Er hatte ein schiefes Lächeln und schielte auf einem Auge. Trotzdem war er ein hübscher Junge und hatte anscheinend ebenfalls seinen Spaß. Corinn nahm sich vor, ihn nach seinem Namen zu fragen, ehe sie ging.
    »Es gibt eine candovische Geschichte von einem Bogenschützen«, sagte Hanish. Sie hatten innegehalten, während der Junge die Pfeile einsammelte und die Zielscheiben zurechtrückte. »Seinen Namen habe ich vergessen. Er galt als der beste Schütze seines Landes, der das Ziel niemals verfehlte. Damals gab es Grenzstreitigkeiten zwischen Candovia und Senival. Bei einem Stammestreffen, auf dem die Streitigkeiten beigelegt werden sollten, forderte ein Senivale den Bogenschützen heraus. Ob es stimme, spottete er, dass er aus fünfzig Schritten Entfernung eine Olive entkernen könne? Der Candovier bestätigte dies. Der Senivale forderte ihn auf, es zu beweisen, doch der Bogenschütze ging nicht darauf ein. Er sagte, ihm habe noch nie eine Olive etwas zuleide getan. Allerdings werde er mit Freuden einem Senivalen aus hundert Schritten Entfernung ein Auge ausschießen. Er versprach, ihm nur das eine Auge zu nehmen. Wenn er die fragliche Augenhöhle auch nur geringfügig verfehle, wolle er sich fortan demütig bescheiden. Niemand ließ sich darauf ein.«
    Zwei Haubenlerchen stießen von den Baumwipfeln herab und jagten einander am Rande des Schießplatzes, sie hatten nur Augen füreinander. Corinn stellte sich auf einmal vor, der

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