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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Quäntchen Leid durch die Luft flog, einem Menschen durch einen anderen zugefügt, nur durch eine Bewegung der Finger? Um endlich einen greifbaren Beweis für Hanishs Grausamkeit zu haben? Vielleicht war es das. Sie hatte den Beweis mit eigenen Augen sehen wollen. Von diesem Gedanken und von ihrem Widerwillen gegen Hanish, der unlösbar mit Faszination vermischt war, wurde ihr übel. Was machte Hanish mit ihr?
    Sie riss den Blick von dem Wald los und sah den Jungen an, der reglos an Ort und Stelle verharrte. Die Hand hatte er gesenkt, erwartete aber offenbar weitere Anweisungen. Gut, dass sie ihn nicht nach seinem Namen gefragt hatte.
    Wieder im Jagdhaus angelangt und tief in Gedanken versunken, fuhr sie zusammen, als Peter, der Hausvorsteher, auf einmal in einem der Treppenschächte neben ihr auftauchte. Er hatte anscheinend auf sie gewartet und stürmte ihr entgegen wie ein Angreifer. »Prinzessin«, sagte er, »Ihr seid nicht mehr das kleine Mädchen, an das ich mich erinnere.« Er blieb dicht vor ihr stehen. So nahe war sie ihm während ihres Besuchs noch nie gekommen, und noch nie war sie allein mit ihm gewesen. Seine Brauen zuckten vor Erregung. Beinahe hätte sie ihn angeherrscht.
    »Euer Vater wäre stolz gewesen, wie gut Ihr Euch behauptet«, sagte er. »Ich habe von Eurem Schicksal erfahren, habe es aber erst geglaubt, als ich es mit eigenen Augen gesehen habe.« Einen Augenblick lang sah er aus, als überwältige ihn der Kummer. »Wann wird er kommen, Prinzessin? Sagt es mir, und wir werden bereit sein, uns ihm anzuschließen. Alle hier sind noch immer treu ergeben.«
    »Wann wird wer kommen?«, fauchte Corinn.
    »Euer Bruder natürlich! Wir beten alle zum Schöpfer, dass Aliver bald zurückkehrt, und zwar mit einer Macht, die Hanish Mein hinwegfegt.«

41

    Als sein Pferd die letzten Schritte zum Methalischen Rand hinaufstapfte, spürte Haleeven Mein die Nähe der Heimat. Ein kühler Wind erfrischte ihn, schien sein pockennarbiges Gesicht zu liebkosen und nach Vertrautem zu suchen. Das Land roch feucht und modrig, stank nach der sumpfigen Fäulnis des Sommers im Mein-Tiefland. Er saß ab, bückte sich, grub die Finger ins Erdreich und sprach leise ein Dankgebet für seinen Neffen. Hanish hatte ihm ein großes Geschenk gemacht, als er ihm erlaubt hatte, zum ersten Mal seit Jahren die Heimat wiederzusehen. Und was noch besser war, er war zurückgekehrt, um den Umzug seiner Ahnen in die Wege zu leiten, der ihnen endlich die wohlverdiente Freiheit bringen würde. Sein Auftrag weckte auch böse Vorahnungen, doch er bemühte sich, möglichst nicht daran zu denken. Stattdessen gelobte er, die Wünsche seiner Ahnen zu erfüllen.
    Die Welt vor ihm war frühlingsfeucht. Schneeschichten hatten in der zaghaften Wärme der noch tief stehenden Sonne zu schmelzen begonnen. In dieser Gegend des Plateaus war das Erdreich ein torfiger Morast, in dem es vor Leben nur so wimmelte. Nass wie ein Schwamm, gluckste er bei jedem Schritt. Haleeven, die Kompanie berittener Soldaten und der lange Zug der zu Fuß marschierenden zwangsverpflichteten Arbeiter hinter ihm mussten sich an vorgegebene Wege halten, wo der Untergrund bereits festgetreten worden war. Die Luft summte von frisch erwachten Insekten, winzigen Geschöpfen, denen nichts mehr zuzusagen schien, als am Augenweiß der Menschen kleben zu bleiben. Sie flogen geradewegs in Münder und drangen beim Einatmen in die Nase ein. Und sie stachen.
    Haleeven musterte die von Blutsprenkeln gezeichneten Gesichter um ihn herum. Einige Männer hatten sich Tücher vor den Mund gebunden. Andere klatschten sich ins Gesicht und verschmierten ihr eigenes Blut aus den zerplatzten Bäuchen der Insekten. Haleeven bemühte sich, das Ungemach nicht zu beachten, und tat seine Verachtung für die weniger Disziplinierten mit Blicken kund. Zu dem elenden Haufen der Zwangsverpflichteten blickte er sich nicht einmal um. Er wusste, dass ihre Zahl im Laufe des Marsches schrumpfen würde. Die Mücken übertrugen oftmals tödliches Fieber.
    Nachdem sie ein paar Tage weiter nach Norden gezogen waren, tauchten am Horizont die Grate der Schwarzen Berge auf. Ein böiger Wind kam von den Hängen, zauste Pferd und Reiter und wehte die Mückenschwärme fort. Dann gelangten sie auf den festeren Untergrund des Hauptplateaus. In dem tundraähnlichen Grasland waren Elche und Wölfe, Füchse, Eisbären und der arktische Ochse zu Hause, den die Mein schon vor langer Zeit gezähmt hatten. All diese Tiere ließen sich

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