Acacia 01 - Macht und Verrat
sich auf und schritt vor der Gruppe langsam im Kreis umher. Trotz seines hohen Alters und seiner schlechten Gesundheit war er immer noch eine imposante Erscheinung, selbst wenn er nur mit seinen großen Füßen einen Kreis in den Sand zog. »Ich weiß, dass es schön ist. Und ihr alle wisst, dass ich mit den Plattformen so meine Erfahrungen gemacht habe. Ich habe sie in meiner Jugend mal gesehen. Wir sind nur dran vorbeigesegelt, verdammt nah, so als Spott. Worauf uns eine ganze Flotte verfolgt und so weit nach Norden gejagt hat, bis wir Eisschollen im Meer haben treiben sehen. Unser kleines Kunststück hätte uns um ein Haar das Leben gekostet. Aber ich habe sie gesehen. Sie sind genauso, wie ihr sie euch vorstellt, und noch viel unglaublicher.«
Er blieb stehen und blickte sich um. Unwillkürlich hielt er nach dem Gehstock Ausschau, den er weggelegt hatte. Als er es merkte, straffte er sich und musterte die ihm zugewandten Gesichter. »Aber ihre Schätze können wir uns nicht holen. Darum geht es nicht. Nicht mal eine ganze Armee könnte die Plattformen erobern, und wir haben auch keine Armee. Und ihre Reichtümer … Ehrlich gesagt, ich will sie nicht. Ihr redet von Sklaven? Von Konkubinen? Macht mal halblang. Ich hab nie was gegen das Plündern gehabt. Hab mir immer genommen, was ich haben wollte. Seeräuberei ist ehrliche Arbeit, hab ich recht?
Wir verrichten sie mit unseren Händen, unseren Bäuchen. Das, womit die Gilde Handel treibt, steht auf einem ganz anderen Blatt. Das wollt ihr nicht haben, Freunde. Aber vielleicht wollt ihr sie ja vom Antlitz der Erde auslöschen. Ihr wollt eine Belohnung? Wie wär’s mit der Liebe all der Kinder, die nicht übers Meer verkauft werden? Wie wär’s mit dem Dank, mit dem ihre Eltern euch überschütten werden? Wie wär’s, einfach zu wissen, dass ihr die Welt ein bisschen besser gemacht habt?«
Dovian hielt inne und suchte in Gesichtern nach Antworten. Sein Blick fiel auch auf Sprotte, verweilte aber nicht länger bei ihm als bei den anderen. »Ich will damit sagen, dass es für den Schlüssel nur eine einzige Verwendung gibt, und genau das sollten wir auch damit machen.«
Keiner der Seeräuber, die eben noch auf Beute versessen gewesen waren, erhob Einwände. So groß war Dovians Einfluss auf sie. Die Planung ging rasch vonstatten, denn die Unternehmung erforderte mehr schieren Mut als irgendetwas anderes. Im Grunde, erklärte Dovian, sei es ganz einfach. Sie hätten nur drei Hindernisse zu überwinden: Sie müssten unbemerkt die Plattform erreichen, mithilfe des Kapitäns das richtige Tor finden, dessen Schloss man in der Zwischenzeit hoffentlich nicht ausgewechselt hatte, es mit dem Schlüssel öffnen und einen ganz bestimmten Lagertrakt finden. Das sei zu machen, glaubte er.
Wenn sie sich der Plattform näherten, müssten sie zum Beispiel vor allem verhindern, dass man sie bemerkte. So stabil und gewaltig, wie die Plattformen waren, würde die Gilde kaum mit einem Angriff rechnen. Jahrhundertelang habe niemand sie herausgefordert, und ein einzelnes kleines Schiff würde sie gewiss nicht fürchten. »Vielleicht bemerken sie ein kleines Schiff, das stimmt, vielleicht aber auch nicht. Sie werden bestimmt nicht danach Ausschau halten. Es gibt keine Flotte auf der ganzen Welt, die eine Bedrohung für die Gilde darstellen würde, und nicht mal im Traum würde ihnen einfallen, dass wir ein solches Wagnis eingehen könnten.« Trotzdem müssten sie natürlich vorsichtig sein. Eine Tagesreise unter Segel entfernt liege ein kleines Atoll. Wenn sie zum rechten Zeitpunkt und bei günstigen Windverhältnissen von dort aus in See stächen, würden sie das Ziel im Schutze der Dunkelheit erreichen.
Allerdings stand noch die Frage im Raum, ob der Schlüssel ihnen überhaupt etwas nützen würde. »Was ist, wenn sie die Schlösser ausgewechselt haben?«, fragten mehrere Männer im Chor. »Oder wenn sie an den Eingängen Wachposten aufgestellt haben?«
Dovian glaubte, dass ein paar Monate nicht ausreichten, um die Schlösser auszuwechseln. Der Schlüssel sei so kunstvoll gearbeitet, dass man ihn nur schwer ändern oder ersetzen könne. Außerdem besäßen nur wenige Gildenleute solche Schlüssel. Sie legten Gelübde ab, diese unter Einsatz ihres Lebens zu schützen.
»Wer immer diesen Schlüssel beschützen sollte, hat es nicht getan«, sagte Leeka. »Er hat ihn nicht am Leib getragen und einem ungeschützten Schiff anvertraut. Er war dumm genug, den Schlüssel unbewacht zu
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