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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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nicht antworten wollte. »Aber Ihr wart keine Sklavin. Das wisst Ihr doch, oder nicht?«
    »Ja, im Grunde weiß ich das.« Corinn zog die Knie an und löste den Kontakt zwischen ihnen. Ihr Hochgefühl hatte sich verflüchtigt. »Ich habe einmal richtige Sklaven gesehen. Ich war bei der Familie eines Edelmanns in Bocoum zu Besuch. Ich wusste, dass wir das nicht tun sollten, aber meine Freundin und ich haben uns trotzdem mitten in der Nacht aufs Dach hinausgeschlichen. Das haben wir manchmal getan, um die Sterne zu betrachten und einander Geschichten zu erzählen. In dieser Nacht aber haben wir eine Stelle gefunden, von der aus man die Straße sehen konnte, und haben etwas Seltsames erblickt … Zuerst dachte ich, es wäre eine Parade. Aber eine Parade mitten in der Nacht? Und noch dazu völlig lautlos? Und warum waren die Menschen, die da marschierten, gefesselt? Sie waren so alt wie ich damals. Zehn oder elf, kurz vor Beginn des körperlichen Wandels. Sie waren am Hals aneinandergekettet, hunderte mussten es gewesen sein. Männer mit gezückten Schwertern haben sie angetrieben. Die einzigen Geräusche waren das Schlurfen der Füße, das Klirren der Ketten und... Diese Stille werde ich niemals vergessen. Sie war fürchterlich laut.«
    »Das hört sich an wie ein Albtraum«, meinte Hanish.
    Corinn schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, es wäre nur das gewesen, aber es war kein Traum. Irgendwie war mir das schon damals klar. Ich habe nicht begriffen, was es bedeutete, aber ich habe gewusst, dass ich keinen Erwachsenen danach fragen durfte. Natürlich war das die Quote. Die Quote, von der alles abhängt.« Sie blickte Hanish direkt ins Gesicht. Die kleine Narbe am Nasenflügel hob sich deutlicher ab als sonst, vielleicht weil sie vom Alkohol gerötet war. »Warum wollen die Fremden unsere Kinder? Was fangen sie mit ihnen an?«
    »Manche Fragen lässt man am besten unbeantwortet. Aber Ihr habt mir ein Geständnis gemacht. Ich werde Euch auch etwas gestehen, damit Ihr mich und mein Volk versteht. Wir haben durch die Vergeltung fürchterlich gelitten. Könnt Ihr diese Leben des Leidens begreifen? Zweiundzwanzig Generationen lang – unsere Geschichte reicht ebenso weit zurück wie die eure. Irgendwann haben wir angefangen, davon zu träumen, dass sich das alte Übel aus der Welt schaffen ließe. All der Ärger, den wir im Laufe der Jahre gemacht haben – die Scharmützel, die Überfälle und Übergriffe auf aushenisches Gebiet -, nichts davon entsprach unserem Charakter. Das war nur Trommel- und Hörnergetöse, hinter dem wir unsere wahren Ziele versteckt haben. Die Acacier sollten glauben, uns zu kennen. Ich weiß, dass unser Erfolg Euch keine Freude bereitet. Ich versuche nur, mich zu erklären. Es ist Euer gutes Recht, über uns zu urteilen, aber es ist das meine zu wollen, dass Ihr dabei Gerechtigkeit walten lasst.«
    »Und deshalb habt ihr meinen Vater getötet«, sagte Corinn. Sie versuchte, ihrer Stimme einen kühlen, zornigen Klang zu verleihen, doch stattdessen hörte sie etwas Klägliches darin, ein Verlangen, getröstet zu werden.
    »Ich wünschte, es hätte eine andere Möglichkeit gegeben. Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich mir wünsche, ich hätte Euch unter anderen Umständen kennen gelernt. Aber was ich der Bestie angetan habe, die das acacische Reich war, war nicht gegen Euch gerichtet. Ich bin kein Unmensch. Manchmal möchte ich, dass die Welt das von mir glaubt, aber in Wahrheit besteht mein einziger Fehler darin, dass ich das Leiden meines ganzen Volkes spüre. An diese Menschen muss ich zuerst denken, versteht Ihr das? Es gefällt mir nicht, dass ich jetzt tausende Kinder in die Knechtschaft schicke. Es ist mir zuwider. Aber mein Volk muss an erster Stelle stehen. Wenn Ihr das begreift, versteht Ihr mich.«
    Es war nicht so, dass Corinn von seinen Worten ungerührt blieb. Es war nicht so, dass sie ihm nicht geglaubt oder dass die Vorstellung, er besäße ein weiches Herz, ihr gleichgültig gewesen wäre. All dies bewegte sie durchaus, doch die lange Gewohnheit hatte ihre Zunge so sehr geschärft, dass sie selbst jetzt eine Erwiderung formulierte, die allein ihrer Verteidigung diente.
    »Das ist eine eigenartige Verführungsmethode«, bemerkte sie.
    Hanish hob das Gesicht zu ihr auf. Seine Augen waren feucht. Die Tränen lösten sich bei seiner Bewegung und rollten über beide Wangen. Es war eine so schmerzlich mitleiderregende Verwandlung, dass Corinn die Hand nach ihm ausstreckte. Sie

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