Acacia 01 - Macht und Verrat
von der Ostküste und die engen Lederhosen, die von den Bewohnern der Inneren Hügelkette getragen wurden. Eine Schar Krieger mit hohen Wangenknochen begrüßte ihn mit lautem Geschrei. Er hatte keine Ahnung, was das für Leute waren. Sein nervöses Kopfnicken wurde mit breitem Grinsen aufgenommen.
Thaddeus und Sangae erwarteten sie in der Mitte des Dorfes. Beide trugen ähnliche Mienen väterlicher Erleichterung zur Schau, voller Stolz und Ehrfurcht. Als sie wohlbehalten in der Hütte des Häuptlings saßen, bemühte Aliver sich nach Kräften, die auf ihn einstürzenden Fragen zu beantworten. Zufriedenstellend gelang ihm das nicht. Bei allen Einzelheiten blieb er vage. Das war ihm klar. Seine Sätze vertröpfelten halb beendet in Schweigen. Er machte lange Pausen, denn es fiel ihm schwer, seine Erfahrungen mit den Santoth in Worte zu fassen. Eigentlich war das unmöglich. Das meiste davon hatte sich an einem Ort ohne Worte abgespielt. Manches davon erschien ihm – jetzt, da er wieder im lärmenden Menschengetriebe angekommen war – so schemenhaft wie die Welt der Träume.
Die beiden Älteren hatten dafür anscheinend Verständnis. Sie waren begeistert, dass er Kontakt zu den Santoth aufgenommen hatte und von ihnen anerkannt worden war, und sie freuten sich, dass er wohlbehalten zurückgekehrt war. Sie berichteten, dass sich die Kunde von seinem Vorhaben vom Tag seines Aufbruchs an über die ganze Ebene verbreitet habe. Aliver Akaran weilte unter ihnen! Er war ein Mann, der einen Laryx erlegt hatte! Der Prinz hatte sich auf die Suche nach den verbannten Zauberern gemacht! Weder Thaddeus noch Sangae hatten geplant, dass dies bekannt werden sollte. Es geschah einfach. Menschen, die seine Identität neun Jahre lang geheim gehalten hatten, vermochten sich auf einmal nicht länger zu bezähmen. Die Welt hungerte anscheinend nach Aufschluss über Alivers Verbleib. Kurz darauf trafen die ersten Pilger ein.
»Die Menschen, die sich hier versammelt haben, sind die Ersten, die sich dir anschließen wollen«, sagte Thaddeus. »Wir können jederzeit nach Norden ziehen und unterwegs unsere Armee um uns scharen. Wir werden eine Streitmacht versammeln, wie die Welt sie noch nie gesehen hat, ein solch gewaltiges Heer, dass Hanish Mein sich uns wird stellen müssen.« Der ehemalige Kanzler hielt inne, ihm schien bewusst zu werden, dass er der Entwicklung vorausgriff. »Prinz, gefällt dir der Plan?«
»Wir können nicht einfach nur massenweise Männer zusammenziehen«, hörte Aliver sich sagen. »Wir müssen sie auch ausbilden. Ohne Disziplin und Ordnung wird unsere Streitmacht nichts als eine Herde sein, die die Mein und die Numrek abschlachten können.«
Thaddeus wechselte einen Blick mit Sangae. Mit einem leisen Zucken der Augenbraue sandte er ihm eine Botschaft, als wolle er einen Punkt für sich verbuchen, dann wandte er sich wieder Aliver zu. Es freute ihn zu hören, dass der Prinz in so großem Maßstab dachte, ohne die Details aus dem Blick zu verlieren. Er selbst, erklärte er, tue schon seit geraumer Zeit dasselbe. Seit einigen Jahren stehe er mit ehemaligen acacischen Generälen in Kontakt. Sie alle hatten kleine Widerstandsgruppen um sich geschart. Sie hatten Verschwiegenheit gelobt und warteten darauf, dass er sie zu den Waffen rufe. Einer von ihnen – Leeka Alain, der ehemalige Befehlshaber der nördlichen Schutztruppe – habe Alivers jüngeren Bruder ausfindig gemacht.
Aliver fiel ihm ins Wort. »Er hat Dariel gefunden?«
Thaddeus nickte. »Ich habe eine entsprechende Nachricht bekommen, während du fort warst. Sie sollten bald unterwegs zu uns sein. Und dabei wird es nicht bleiben. Überall im Reich gibt es Menschen, die den Akaran noch immer treu ergeben sind.«
Sein Bruder war am Leben! Die Nachricht, dass eines seiner Geschwister lebte und sich ihrer Unternehmung anschließen wolle, erfüllte Aliver mit Erleichterung, dicht gefolgt von einem Aufwallen der Sorge. Der kleine Dariel! Wie konnte er in dem Chaos überleben, das auf sie zukam? Beinahe hätte er gesagt, Dariel solle sich weiter versteckt halten, hielt sich aber zurück. Er stellte sich den kleinen Jungen vor, der Dariel gewesen war. Dieses Kind gab es nicht mehr. Die Jahre hatten ihn gewiss ebenso verändert wie Aliver selbst. Vielleicht sogar noch mehr, denn er war so jung gewesen, als er ins Exil gegangen war. Am liebsten hätte er den alten Kanzler gepackt und mit Fragen bestürmt. Wo war sein Bruder? Was für ein Leben hatte er geführt?
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