Acacia 01 - Macht und Verrat
Geringeres als Vertrauen, etwas weniger Vollkommenes als unbedingten Glauben an seine Worte erblickt zu haben, als sie die Frage gestellt hatte. Und war das nicht scharfsinnig von ihr? Schließlich hatte er wieder einmal schamlos gelogen. Die Vergeltung hat keinerlei Auswirkung auf unser Leben? Eine himmelschreiende Unwahrheit, beredt vorgebracht. Wie lange würde er noch damit durchkommen? Natürlich war es nicht nur Mena, die begonnen hatte, Fragen zu stellen. In Alivers Blick zeigten sich schon seit geraumer Zeit Verunsicherung und Misstrauen, die jederzeit offen zu Tage treten konnten.
Der Kanzler sagte: »Ich sollte vielleicht erwähnen, dass der Vorsitzende die Gouverneure in der Angelegenheit der von den Bergarbeitern von Prios eingereichten Klage zum Einschreiten aufgefordert hat...«
»Muss ich mich damit befassen? Mit den Bergwerken will ich nichts zu schaffen haben.«
»Gut. Das können wir den Gouverneuren überlassen. Aber es gibt etwas, das sie nicht allein bewältigen können.« Thaddeus schürzte die Lippen und wartete, bis der König seinen Blick erwiderte. »Die Vertreter der Gilde wollen wissen, ob Ihr die Forderung der Lothan Aklun nach einer Anhebung der Quote wirklich zurückweisen wollt.«
Mit diesem Satz wäre es dem Kanzler beinahe gelungen, die abstumpfende Wirkung der Droge zu vertreiben. Die Lothan Aklun... Die Vereinbarung, die als Quote bezeichnet wurde … Diese beiden Dinge waren die große, verschleierte Sünde des Akaran-Reichs. Leodan sog an der Pfeife. Einen Moment lang wünschte er, er hätte diese Angelegenheit den Gouverneuren überlassen können. In Wahrheit regelten jene Vertreter der Provinzen, die ihren Sitz in der geschäftigen Stadt Alecia hatten, die meisten praktischen Angelegenheiten des Reiches. Tinhadin aber, König der Frühzeit und Hauptarchitekt des Akaran-Reichs, hatte die Quotenrichtlinien besonders einfach gestaltet. Kontrolle, Autorität, Verantwortlichkeit – alles ruhte auf den Schultern des Monarchen, ein Geheimnis, das zwar viele kannten, dessen Bürde er jedoch allein tragen musste. Aus diesem Grund war der Palast für die Verwaltung dieser Dinge zuständig. Die Mittel dazu stammten aus einer eigenen Schatulle und wurden von den anderen Regierungszweigen gesondert abgerechnet. Es wurde nur in erlesenen Kreisen darüber gesprochen, und die eigentliche Durchführung fand weit entfernt statt, vor den Blicken des Königs verborgen, wenngleich er häufig daran dachte. Doch sooft er auch die alten Texte zu Rate zog, die genauen Umstände, wie es zu der Übereinkunft gekommen war, konnte Leodan nicht nachvollziehen. Der Kern allerdings war durchaus verständlich.
Als Tinhadin den erst kurz zuvor erkämpften Thron von seinem Vater übernommen und seine Brüder überlebt hatte, führte er Krieg an mehreren Fronten. Das waren die so genannten Verteilungskriege gewesen, eine Zeit der Spannungen und Wirren. Sein früherer Verbündeter Hauchmein von den Mein war jetzt sein Widersacher. Seinen treuen Zauberern, den Santoth, traute er nicht mehr. In den Provinzen flammten Aufstände so häufig auf wie im Sommer die Feuer auf den acacischen Hügeln. Sein eigenes Weltbild war verschroben und grauenvoll, und er kämpfte mit der erschreckenden Vermutung, jedes Wort von ihm könne das Gewebe des Seins zerreißen. Auch er war ein Santoth, der größte von allen, doch die Magie seiner Zunge zu bändigen, war ihm zur Qual geworden.
Und dann tauchte auf den Grauen Hängen eine neue Gefahr auf. Tinhadin machte die Erfahrung, dass es eine Macht gab, die größer war als die seine. Sie nannten sich Lothan Aklun. Sie kamen aus dem Anderland, von außerhalb der Bekannten Welt, von jenseits des großen Meeres. Für den König der Frühzeit waren sie ein absolutes Mysterium. Ihre Macht war eigentlich nichts als eine bloße Behauptung, doch zu diesem Zeitpunkt wollte Tinhadin sich keine neuen Feinde machen. Er unterbreitete ihnen ein Friedensangebot und schlug vor, zum gegenseitigen Vorteil Handel zu treiben, anstatt einander zu bekriegen. Die Lothan Aklun gingen nicht nur bereitwillig auf Tinhadins Angebot ein, sondern machten ihrerseits Vorschläge, die Tinhadin sich allein nicht hätte träumen lassen.
Damals musste er in der Vereinbarung ein vorteilhaftes Tauschgeschäft gesehen haben. Für ihr Einverständnis verlangten sie nichts weiter als die Zusage, ihnen alljährlich eine gewisse Anzahl von Kindersklaven zu überlassen, ohne Fragen zu stellen und unter der
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