Acacia 01 - Macht und Verrat
das Kettenhemd vom Leib. Mena, umringt von sich entkleidenden Leibwächtern, folgte ihm. Sie sah zu, wie Leeka sich das Hemd, das er unter der Rüstung trug, über den Kopf streifte und es fortschleuderte. Dann löste er den Schwertgürtel, zog blank und ließ auch die Scheide fallen. Sie wollte ihn gerade fragen, was er sich dabei denke, als er sich nach ihr umsah. Er berichtete ihr, was geschehen war, während sie dem Antok nachgejagt war. Während sie ihm zuhörte, nahm sie die sich wandelnde Szenerie um sie herum in sich auf.
Die Antoks wüteten noch immer, schlugen noch immer Soldaten in die Flucht und schleuderten zerschmetterte Opfer empor, doch alle, die nicht unmittelbar von den Tieren bedroht wurden, gaben sich ein und derselben Beschäftigung hin. Sie zogen sich aus, rissen sich Kleidungsstücke vom Leib, legten Panzer ab, streiften Hosen von den Beinen und durchtrennten mit dem Dolch Armbänder. Die Menschen warfen ihre Kleider so eilig ab, als stünden sie in Flammen. Erst als sie nackt waren, formierten sie sich erneut, jedoch nicht wie zuvor nach Einheiten geordnet. Stattdessen nahmen sie Schulter an Schulter Aufstellung und bildeten große, wogende Menscheninseln.
Wenn Mena Leeka richtig verstand, glaubte Aliver, dass die Tiere auf bunte Farben reagierten. Die Wärter und die Vumu-Krieger waren nicht angegriffen worden, weil die Antoks von braunen Farbtönen nicht gereizt wurden. Leeka meinte, vielleicht sei das für sie ganz natürlich. Vielleicht seien sie von braunhäutigen Menschen gezähmt worden. Oder aber sie seien entsprechend abgerichtet worden, damit sie nicht auf ihre Wärter losgingen. Acacische Armeen – sogar diese, der so viele Talayen angehörten – hatten seit jeher das Orange der Akaran-Dynastie getragen, was die Kämpfer zu leichten, leuchtenden Zielen machte. Was immer auch die Erklärung sein mochte, es war einen Versuch wert. Ihre Rüstungen und Kleider schützten sie ohnehin nicht vor den Hauern, den Hufen und der Mordlust der Antoks.
Mena, die sich auf Vumu niemals ihrer Nacktheit geschämt hatte, war mit wenigen Handgriffen splitternackt. Sie blickte an sich hinunter. Arme, Oberkörper und Beine waren tief gebräunt. Ihr Unterleib und ihre Oberschenkel waren heller. Sie überlegte.
»Ich denke das Gleiche«, sagte Leeka und betrachtete sie eingehend. Seine eigene nackte Brust und sein Bauch waren blass, weil sie lange verhüllt gewesen waren. »Was gäbe ich jetzt nicht dafür, mit der Haut eines Talayen zu Welt gekommen zu sein. Aber kommt, lasst uns zu den anderen gehen. Sie werden uns abschirmen.«
Kurz darauf, als sie von der wogenden Masse schwitzender Leiber aufgenommen wurden, verstand Mena, was er meinte. Die verschiedenen Talayenstämme bildeten den äußeren Ring. Sie schoben die hellerhäutigen Acacier, Candovier, Senivalen und Aushenier – alle, die keine dunkelbraune Haut hatten – hinter sich und reichten sie von Hand zu Hand weiter in ihre Mitte. Mena musste sich anstrengen, in der Nähe des Außenrands zu bleiben, damit sie in das, was geschehen würde, eingreifen konnte. Dabei wurde sie von Leeka und dessen Leibwächtern getrennt. Lautstark gab sie sich als Prinzessin zu erkennen, schlug Soldaten auf den Hinterkopf, rempelte mit den Ellenbogen und boxte.
Bald darauf war sie von einer Leibgarde aus Bethuni-Kriegern umgeben. Das half, doch unerträglich lange konnte sie nichts sehen als die hoch aufragenden Männer um sich herum. Schließlich kletterte sie auf einen großen Stein, von dem aus sie das Geschehen um sie herum überblicken konnte. Die Bethuni drängten sich von allen Seiten an sie, um ihr Halt zu geben. Sie legte die Hände auf ihre Schultern, dankte ihnen mit ihrer Berührung. Der Rest ihres Seins konzentrierte sich auf das weitere Geschehen.
Das Menschenmeer um sie herum hatte inzwischen eine einheitliche Färbung angenommen. Alle bunten Kleidungsstücke, die die Krieger zuvor unterschieden hatten, waren verschwunden. Jetzt trampelten sie mit bloßen Füßen die abgelegten Kleidungsstücken in den Boden. Die Antoks waren alle vier von diesem Ozean aus Menschen umgeben. Sie rasten noch immer durchs Gewühl, jedoch anders als zuvor. Jetzt bewegten sie sich ruckartig, zögernd, und hielten Ausschau nach Opfern. Jedes Mal, wenn sie etwas Buntes ausmachten, drängten sie heran, als wären sie verzweifelt bemüht, jemanden als den Träger des entsprechenden Kleidungsstücks ausfindig zu machen und ihn angemessen zu bestrafen. Sie achteten
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