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Acacia 01 - Macht und Verrat

Acacia 01 - Macht und Verrat

Titel: Acacia 01 - Macht und Verrat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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beachtet, es in der Bibliothek versteckt? Was für eine Torheit. Diesen Fehler würde sie nicht machen.
    Wenn sie tun wollte, was sie mittlerweile für unumgänglich hielt, gab es so viel, worum sie sich kümmern musste, und es blieb ihr nur so wenig Zeit dafür. Diesen Herausforderungen, die noch immer vor ihr lagen, musste sie allein mit ihrem Verstand begegnen, mit der Schlauheit, die sie bereits besaß, und sie musste auf dem aufbauen, was sie bereits in die Wege geleitet hatte. Es galt, jeden einzelnen Schritt gründlich zu planen und Fehler zu vermeiden. Sie musste überdenken und verstehen, was Thaddeus ihr über Alivers Absichten erzählt hatte, um ihnen angemessen begegnen zu können. Sie würde einen Brief an Rialus schreiben und ihn ihm durch einen Botenvogel zukommen lassen. Leicht würde das nicht sein, doch sie brauchte es nur ein einziges Mal zu schaffen. Sie musste diese Geheimgänge in den Wänden erkunden. Und zuallererst musste sie sich um Thaddeus kümmern.
    Als die Dienstmagd zurückkam, nahm Corinn ihr das Tablett ab und sagte, sie wolle auf keinen Fall gestört werden. Dann schloss sie hinter der jungen Acacierin die Tür und setzte das Tablett ab. Sie zog den gefalteten Papiervogel unter dem Gürtel hervor. Mit einem Fingerklopfen stellte sie die Schwanfigur wieder her. Sie drückte die Enden mit den Fingern zusammen, neigte die Hand und ließ die Kristalle in den Tee rieseln. Sie hoffte, dass sie wirklich so geschmack- und geruchlos sein würden, wie die Chemiker der Gilde behaupteten. Einem Teil ihres Bewusstseins war klar, dass das Gift eigentlich bereits für Hanish gedacht war. Während sie zusah, wie die Kristalle sich auflösten, schob sie diesen Gedanken beiseite. Mit Hanish würde sie auf andere Weise fertig werden. Welch ein Zufall, dass das Gift gerade heute eingetroffen war, kurz bevor der Kanzler aus der Wand hervorgetreten war. Ein weiteres Zeichen, dass dies sein sollte, sich genauso abspielen sollte.
    Mit einem silbernen Löffel rührte sie den Tee langsam um. Sie verspürte keinen Groll gegen Thaddeus. Auf den Verrat, der ihn anscheinend so sehr bedrückte, verschwendete sie kaum einen Gedanken. Nein, es war keine emotionale Entscheidung. Es war ganz einfach. Thaddeus hatte ihr gebracht, wonach sie gesucht hatte, ohne dass sie jemals gewusst hatte, dass sie auf der Suche danach gewesen war. Mit der Gewissheit einer uralten Erinnerung wusste sie, dass das Buch für sie bestimmt war. Es war für sie bestimmt . Deshalb war Thaddeus zu ihr gekommen, anstatt es Aliver zu bringen. Er selbst ahnte davon nichts, für sie jedoch lag es auf der Hand. Sie – und nicht Aliver – würde verstehen, was die Welt im Innersten zusammenhielt. Aliver war ein Träumer, naiv und schwärmerisch; die Welt, so glaubte sie, würde solche Männer stets zum Narren halten. Sie war es, die mit Macht etwas anzufangen wusste. Sie war es, die jenseits aller Zweifel begriff, dass sie sich einzig und allein auf sich selbst verlassen konnte. Und auf Das Lied von Elenet . Das in dem Buch enthaltene Wissen war für sie bestimmt. Vielleicht würde sie auch Aliver gestatten, es anzuwenden, sagte sie sich. Ja, das würde sie tun. Wenn die Zeit gekommen wäre, wenn sie ihn kennen gelernt und sich vergewissert hätte, dass er kein von Wahnideen besessener Narr war.
    Als sie wieder ins Zimmer trat, trug sie nur die dampfende Tasse Tee. Der ehemalige Kanzler schlief. Er saß aufrecht auf dem Stuhl, doch sein Kopf war in einem hässlichen Winkel zur Seite gekippt, und er schnarchte mit offenem Mund. Sie betrachtete ihn einen Moment mit einem Gefühl von Wehmut, die sich jedoch nicht zu einer bestimmten Erinnerung verdichtete. Sie sagte sich, dass das, was sie sich zu tun anschickte, etwas Gutes war. Manche würden sterben, manche würden leiden. Doch wenn dies alles vorbei wäre, würde sie helfen, eine bessere Welt zu schaffen. Sie würde es tun, weil sie ihre Geschwister liebte und wollte, dass sie Erfolg hatten, weil sie sichergehen wollte, dass sie nicht das Opfer jener fatalen Irrtümer würden, die aus ihrer Rhetorik sprachen. Was sie gleich tun würde, war nicht gegen sie gerichtet, es wurde für sie getan.
    Langsam trat sie vor. Mit der Verstohlenheit eines Engels näherte sie sich dem schlafenden Thaddeus, trug die Teetasse vor sich her; die Hitze fühlte sich in ihren Händen an wie geschmolzenes Blei.

66

    Das Grauen des Krieges stellte alles in den Schatten, was Dariel in seinen Jahren als Seeräuber

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