Acacia 01 - Macht und Verrat
König zusammen?«
Gurnal stöhnte laut und schnitt gequälte Grimassen. Der Attentäter erhöhte den Druck auf seinen Brustkorb, bis der Mann eine Antwort hervorhustete. Zunächst sprach er mit ungläubig aufgerissenen Augen, als wäre es einfach nicht möglich, dass er in diesem Albtraum erwacht war, dass er solcherart verletzt worden war und dass sein Mund auf eine derart willkürliche Frage Antwort gab. Der Angreifer stellte jedoch noch weitere Fragen, und zwar so, als wäre ein solches Gespräch ganz normal. Gurnal gab ausführlich Auskunft über sein tägliches Leben, seine Aufgaben, die Orte, die er in den nächsten Tagen aufsuchen wollte, und die Dinge, die er dort zu erledigen hatte. Nach einer Weile fand er eine Art Trost darin, als versicherten die verschiedenen Verpflichtungen, die er aufzählte, ihn seines Platzes unter den Lebenden.
Schließlich kehrte der Frager wieder zum Ausgangspunkt zurück. »Also wirst du heute Abend mit ihm zusammentreffen?«
»Ja, natürlich. Allerdings nicht unter vier Augen. Ich werde nur im Saal anwesend sein, wenn er die aushenische Delegation begrüßt. Ich werde einer von vielen sein...«
»Findet irgendwann ein Bankett statt?«
»Ja, übermorgen Abend im Palast. Ich werde persönlich anwesend sein. Nur wenige Gäste. Es ist eine seltene Ehre, an der Tafel des Königs zu speisen, aber ich...« Der Mann verstummte. Verwirrung spiegelte sich in seiner Miene wider. Sein Mund arbeitete eine Weile lautlos, bevor er mehr Worte hervorbringen konnte. »Ich kenne dich. Thasren! Thasren...«
Der Attentäter brachte ihn mit einem drohenden Zischen zum Schweigen, dann flüsterte er ihm ins Ohr, wobei seine Lippen weiche Haut und Knorpel streiften. »Es tut für dich nichts zur Sache, wer ich bin. Entscheidend ist, dass du schwach geworden bist. Du sprichst mit dem Mund anstatt mit dem Herzen.« Der Botschafter protestierte; sein Blick huschte wild umher, als sei unbemerkt Hilfe eingetroffen und warte nur auf einen Blick, um zu handeln. »Vielleicht werden die Callach, die an den Eingangstoren der Berge alle Menschen beurteilen, dich hören und dir Einlass gewähren. In dieser Welt aber wirst du von einem anderen Herrn beurteilt, und dieser Herr ist unzufrieden mit dir. Du bist für Hanish Mein wertlos geworden, doch da du ein Mein bist, bekommst du eine letzte Chance, deine Treue unter Beweis zu stellen.«
In den folgenden Stunden erklärte er dem Mann und seiner Familie, wie dies vonstattengehen sollte. Er schilderte das Ausmaß der Schmerzen und Qualen, die Hanish über jeden Einzelnen von ihnen bringen würde, wenn sie auch nur bei einer der Aufgaben, die er ihnen stellte, versagten. Er rief ihnen in Erinnerung, welche Verpflichtung sie ihrem Volk gegenüber hätten, und erinnerte sie daran, dass kein Mein dem Zorn der Tunishni entgehen könne. Um ihr Leben zu retten, bräuchten sie nur eine Handvoll Dinge zu tun. Die Frau und die Kinder würden sich in der Öffentlichkeit zeigen, ohne sich etwas anmerken zu lassen. Sie würden affektiert lächeln und vor den Acaciern katzbuckeln wie gewöhnlich. Für das Verschwinden der Bediensteten würden sie sich Ausreden einfallen lassen, und sie würden niemandem Zutritt zum Haus gewähren. Gurnal werde in der Zwischenzeit Thasren in allem unterweisen, was dieser wissen müsse, um in die Nähe des Königs zu gelangen: welche Sitten beachtet werden müssten, wem er möglicherweise begegnen könnte, welche Sicherheitsvorkehrungen er umgehen müsse. Kurz gesagt, er und seine Familie würden ihm helfen, den König zu töten.
Als Thasren das Haus an jenem Nachmittag verließ, trug er eine Perücke, vom Kopf eines der getöteten Diener geschnitten. Ein Stirnband aus gewebtem Rosshaar, wie es bei wichtigen Anlässen häufig getragen wurde, verhinderte, dass sie verrutschte. Abgesehen von seiner Geschicklichkeit im Töten gab es noch einen weiteren Grund, weshalb er für diese Unternehmung besonders gut geeignet war. Sein Gesicht hatte eine sehr ähnliche Form wie das von Gurnal, der Schnitt der Augen und die Kieferpartie glichen sich beinahe aufs Haar. Schließlich gehörten sie zum selben Stammbaum und waren mütterlicherseits Vettern zweiten Grades. Der größte Unterschied zwischen ihnen war ihr jeweiliges Haar, doch dem war abgeholfen worden.
Den Weg zum Palast fand er mühelos. Er trat inmitten des Besucherstroms durch das Tor; die Wächter stellten keine Fragen, sondern winkten ihn einfach durch. Da die Besucher nicht in die Nähe
Weitere Kostenlose Bücher