Acacia 01 - Macht und Verrat
sich, gelassene Belustigung zur Schau zu stellen, bar jeglichen Hinweises, wann oder wo er zustoßen würde. Gleichzeitig hielt er Ausschau nach einer Schwachstelle des Gegners, die er sich zunutze machen könnte. Mit reiner Willenskraft zwang er seine höchste Bewusstseinsebene, hellwach zu sein, befreite sie von den zahllosen unbedeutenden Einzelheiten der Umgebung, damit er sich vollständig auf die wenigen Dinge konzentrieren konnte, die jetzt für sein Überleben wichtig waren. Sein Maseret-Lehrer hatte ihm einmal gesagt, er solle sich zwei Kobras vorstellen, die einander auf dem Waldboden begegnen. Sie führen ein seltsames Ballett auf, bewegen sich eine Zeitlang gemächlich, wobei keine auch nur die geringste falsche Bewegung macht. Und wenn es geschieht, geschieht es binnen eines Wimpernschlags. Hanish hatte zwar noch nie eine lebende Kobra gesehen, hatte das Bild jedoch niemals vergessen. Er hatte schon früher darauf zurückgegriffen, und jedes Mal war sein Stoß so schnell erfolgt, wie die Funken zwischen zwei Feuersteinen fliegen, so übergangslos vom Gedanken zur Tat, dass ihm erst hinterher bewusst geworden war, was er getan hatte.
Den ersten Kontakt stellten die beiden Männer mit den Handflächen her. Sie beugten sich vor, legten die Nacken aneinander, pressten das Kinn in die Schulter des Gegners und suchten mit Armen und Fingern nach Halt. Sie drehten sich im Kreis, schoben mit Füßen, Beinen und Rumpf, schätzten Gewicht und Stärke des anderen ein. Was reine Muskelmasse und Körperkraft anging, war Hanish weit unterlegen, doch schon nach wenigen Bewegungen wusste er, dass der andere Mann sein rechtes Bein schonte. Vielleicht hatte er sich früher einmal eine Verletzung zugezogen, die ihn zögern ließ, wenn er das Knie beugte. Die Gelenke des Mannes bewegten sich bei der Vorwärtsbewegung geschmeidiger als beim Zurücktreten. Er war kein Geschöpf, das gern zurückwich. So sehr er es zu verbergen suchte, dieser Kämpfer zog es vor, als Erster zuzustoßen. Er gierte nach dem Moment, da er vorstürmen konnte, und zwar vorzugsweise dann, wenn er das rechte Bein vorsetzte …
Der Prinz löste sich aus der Umklammerung und wirbelte davon. Das Kinn den Zuschauern entgegengereckt, zog er den Dolch. Der Soldat tat das Gleiche. Hanish war nicht überrascht, als sein Gegner die Muskeln des vorgestellten rechten Beins anspannte, sich aus der Hüfte heraus drehte, die Waffe hochwarf, sie im Rückhandgriff wieder auffing und den Arm mit aller Kraft in einer weit ausholenden Diagonale vorschnellen ließ. Er hatte tatsächlich danach gegiert, als Erster zu attackieren.
Noch ehe er die Bewegung beendet hatte, zeichnete sich Bestürzung in der Miene des Kämpfers ab. Es kam der Moment, da er Hanish hoch an der rechten Brust hätte treffen sollen, doch traf er überhaupt nichts. Hanish hatte sich tief genug geduckt, um dem Angriff zu entgehen. Er drehte sich einmal um die eigene Achse, richtete sich zu seiner vollen Größe auf und rammte dem Mann den Dolch in den entblößten Rücken. An der Art, wie die Klinge bis zu seiner Faust eingedrungen war, erkannte er, dass sie zwischen den Rippen hindurchgegangen war, ohne im Knochen stecken zu bleiben. Er neigte die Klinge etwas zur Seite und riss sie entlang des schmalen Spalts zwischen den Rippen nach vorn. Dabei schnitt er in einen Teil des Herzens, die Rückseite des Lungenflügels und durchtrennte das feste Gewebe der Rückenmuskulatur.
Der Mann stürzte zu Boden. Die versammelten Soldaten brachen in Jubel aus, und ohrenbetäubendes Gebrüll ließ den Schnee auf dem Dach erzittern. Im Chor riefen sie Hanishs Namen. Sie trommelten sich mit den Fäusten auf die Brust. Ein Teil der Armee flutete vorwärts wie eine Brandungswelle und wurde kaum von den Punisari zurückgehalten, die Speerschäfte auf Köpfe droschen und gegen Leiber rammten. Schon als Kind hatte Hanish eine unglaubliche Wirkung auf sein Volk gehabt. Es schien in ihm einen wieder auferstandenen Recken der Vergangenheit zu sehen, und die jähe, tödliche Präzision seines Sieges unterstrich dies von neuem.
Hanish schloss die Augen und bat die Ahnen stumm, diesen Mann als das würdige Geschöpf aufzunehmen, das er war. Lasst ihn jetzt ein Krieger unter euch sein, dachte er und sagte im Innern die Worte auf, die man ihn für solche Augenblicke gelehrt hatte. Möge sein Schwert der Wind in der Nacht sein und seine Faust der Hammer, der die Erde erbeben lässt. Mögen seine Zehen die Meere vor sich
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