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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Tatsachen?«
    »Aufgrund der Tatsache, dass er sein ganzes Leben lang darauf gewartet hat. Genau wie alle anderen, Mór. Genau wie wir alle.«
    »Ich nicht.«
    Skylene drückte ihre Schulter und trat dann zurück. »Das sagst du. Ich bin mir da nicht so sicher. Manchmal glaube ich, du betest mehr um den Rhuin Fá als wir alle.« Ehe Mór antworten konnte, schnalzte Skylene mit der Zunge. »Halte deine Klauen im Zaum, wenn du ihn das nächste Mal siehst. Und außerdem solltest du daran denken, dass du keine Älteste bist. Du bist nur die Bevollmächtigte, die sie ausgewählt haben. Du darfst diesem Mann ohne ihre Erlaubnis kein Leid zufügen. Das wäre genauso dein Untergang wie seiner. Wir müssen mit ihm sprechen. Mit ihm sprechen und dann Yoen berichten, was wir erfahren haben. Lass ihn und die anderen entscheiden, was sich daraus ergibt.«
    »Ich bin kein Kind«, begehrte Mór auf.
    »Nein, du bist eine hervorragende und tapfere Anführerin, die manchmal jegliche Vernunft fahren lässt.«
    Mór schloss die Augen. So bin ich nicht immer gewesen. Nicht immer.
    An jenem Tag im Seelenfänger – dessen Namen und Zweck sie erst viel später verstanden hatte – war sie ganz gewiss keine tapfere Anführerin gewesen. Sie war ein Kind gewesen, das an der Wand gestanden hatte, wie die Frau mit den ungewöhnlichen Ohren es sie geheißen hatte. Mór hatte sich mit großen Augen in einem Raum umgeschaut, den sie nicht verstehen konnte. Lothan Aklun beiderlei Geschlechts schritten hin und her, alle in locker fallende Gewänder gekleidet, deren Saum den weißen Steinfußboden streifte. Sie waren gleichförmig dünn. Nicht die Körper von Arbeitern. Alle waren mit Aufgaben beschäftigt, die, wie Mór ein paar Augenblicke lang dachte, gar nichts mit Ravi und ihr zu tun hatten. Sie eilten hin und her, redeten miteinander und drückten ihre Hände gegen Platten im Stein. Zumindest nahm sie an, dass die Substanz tatsächlich Stein war. Sie war so hart wie Stein, und die Wände bestanden daraus; mehrere andere Gegenstände überall im Raum schienen aus dem gleichen Material gehauen worden zu sein. Zur Mitte des länglichen Raums hin waren zwei erhöhte steinerne Rechtecke, wie Betten, aber so flach und kalt, dass niemand darauf schlafen würde. Ein gutes Stück darüber hingen noch größere Rechtecke von der Decke.
    Die Lothan Aklun sahen so vollkommen über sie und Ravi hinweg, dass sie sich kurze Zeit vorstellte, sie hätten sie schlicht vergessen. Sie hielt immer noch Ravis Hand. Könnten sie sich nicht heimlich davonmachen? Die Tür war offen. Sie spürte, dass Ravi dasselbe dachte; seine Finger zuckten vor Aufregung. Da drüben war die Tür, Tageslicht fiel durch sie herein.
    Ravi schoss los. Er umklammerte ihre Hand, schmerzhaft fest, und riss sie mit einem Ruck mit. Genau wie sie gedacht hatte, sie rannten in Richtung der Tür. Mit wenigen Schritten waren sie fast da. Die Lothan Aklun beachteten sie nicht. Die Frau, die sie hierhergebracht hatte, wandte ihnen den Rücken zu. Mór dachte nicht darüber nach, was sie auf der anderen Seite der Türschwelle tun würden, außer dass sie die Stufen hinunterrennen würden. Und rennen. Rennen.
    Der Umriss eines Mannes verdunkelte das Tageslicht. Er kam herein, und seine Schritte hallten schwer auf dem Steinfußboden. Beide Kinder machten schlagartig halt. Ravi fiel hin und ließ die Hand seiner Schwester los. Mór hatte noch nie einen so großen Mann gesehen, mit langen Beinen und langen Armen und einem Oberkörper, der von gewaltigen, überdeutlich hervortretenden Muskelwülsten bedeckt war. Obwohl er nur einen kurzen schwarzen Rock trug und lange Haare hatte wie candovanische Bräute, wirkte er wie ein Krieger, der im Begriff war, zu töten. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und öffneten sich wieder, hungerten nach den Waffen, die in diese Hände gehörten. Seine Kraft war obszön – so würde sie sie in Erinnerung behalten –, und dennoch konnte sie den Blick nicht von ihm abwenden. Ein Körper, der für den Krieg geschaffen war, nur zu diesem Zweck entworfen, nur für diesen Zweck geeignet. Ein Auldek, wie sie später erfahren würde.
    Sie dachte, dass er hereingekommen sei, um sie aufzuhalten, doch der Ausdruck beiläufigen Interesses in seinem Gesicht machte deutlich, dass er überrascht war, die Kinder vor seinen Füßen herumzappeln zu sehen. Mehrere andere, die ihm in Größe und Haltung glichen, folgten ihm; seine Kameraden unterhielten sich, während sie über

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