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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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zwischen den schlafenden Kindern hindurch, die auf den verschiedenen Unterdecks lagen. Dabei traten und schlugen sie, brüllten Obszönitäten und abscheuliche Drohungen und freuten sich über jedes zusammenzuckende Gesicht. Sie wussten, wo Ravi war, und sie kamen, um ihn zu holen. Um sie zu holen. Ravi wehrte sich gegen sie, doch es war ein Kampf, den er nicht gewinnen konnte. Als sie zusah, wie er sich wand und um sich trat, während die Fäuste der Soldaten wieder und wieder auf ihn einschlugen, hätte Mór am liebsten geschrien. Aber sie wollte nicht nur die widerlichen Männer anschreien. Sie wollte auch Ravi anschreien. Hör auf, dich zu wehren! Hör auf, genau das zu tun, was sie wollen!
    Die Soldaten mit den roten Mänteln zerrten Mór und Ravi von den anderen weg, schleiften sie nach oben, an Deck, schoben sie hierhin und dahin und führten sie eine lange, schmale Rampe hinunter, die von der Mitte des kolossalen Schiffsrumpfs zu einem Kai hinunterführte. Und dann waren die Männer in den Umhängen neben ihnen, mit den verlängerten Köpfen und den zerbrechlichen Körpern. Sie erinnerte sich daran, dass einer von ihnen Fingernägel gehabt hatte, die mehrere Zoll lang gewesen waren – gekrümmte, spiralförmige Dinger. Danach wurden sie auf ein höchst fremdartiges, schlankes weißes Boot gebracht, das von irgendeiner Kraft in seinem Innern angetrieben wurde. Das Schiff fuhr gegen die Strömung und den Wind. Obwohl Mór seit Wochen auf See war, drehte sich ihr dabei der Magen um und spie ihre Innereien aus, bespritzte sie mit widerlichem Erbrochenen. Ravi drückte ihre Hand noch fester, doch es half nicht.
    Die Männer in den Umhängen – Gildenmänner natürlich – übergaben sie einer Frau, die auf einem steinernen Pier auf sie wartete. Es war die erste Frau, die Mór zu Gesicht bekam, seit sie an Bord des Gildenschiffs gebracht worden waren. Sie kam auf sie zu wie eine Prinzessin. Genau das hatte Mór gedacht. Wie eine Prinzessin trug sie ein funkelndes Gewand, das sich eng an ihre schlanke Gestalt schmiegte, ein Kleid, das zu den Knöcheln hinab ausgestellt war und die Bewegung ihrer Beine verhüllte, so dass es aussah, als würde sie auf Rädern auf sie zugetrieben. Ihre Gesichtszüge waren fein geschnitten und blass. Erst als sie vor ihnen stehen blieb, wurde Mór klar, dass die Gebilde neben ihrem Kopf, die sie für eine Art Hut gehalten hatte, in Wirklichkeit ihre Ohren waren. Zu beiden Seiten liefen sie in lange Spitzen aus, die mehrere Zoll höher als normal waren, sich aber drehten und bogen, so dass sie schließlich zur Seite zeigten.
    Vielleicht war es der Anblick dieser Ohren – oder vielleicht auch das beängstigende Gefühl, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben, oder vielleicht lag es auch daran, dass sie so wenig gegessen und sich dann noch übergeben hatte und davon geschwächt war – aus welchem dieser Gründe auch immer oder auch aus allen zusammen, Mór wurde ohnmächtig.
    Einen Augenblick später kam sie wieder zu sich, während die Frau mit den großen Ohren über ihr kauerte und sie musterte. In den Jahren danach dachte Mór oft an dieses Gesicht, wie es auf sie herabblickte, dachte an den ersten Blickkontakt mit einer Lothan Aklun. Die Frau schmunzelte. »Ich höre deine Gedanken«, sagte sie in einer Sprache, die nicht Candovisch war. Sie war wie Acacisch, das Mór ein wenig verstand, aber doch auch wieder anders. Obwohl sie hörte, dass die Worte der Sprache fremdartig waren, verstand sie ihre Bedeutung. Die Lothan Aklun legte den Kopf schräg und zupfte mit einem dünnen Finger an einem ihrer verlängerten Ohren. »Wir tun dies um der Schönheit willen und um besser zu hören.« Es war eine beinahe tröstliche Erinnerung, die Stimme der Frau war freundlich, ihre Worte kaum mehr als ein Flüstern. Es waren die ersten Worte, die ein Lothan Aklun jemals zu ihr gesagt hatte, und es war das Letzte, was sie an ihnen irrtümlich für freundlich halten sollte.
    Nachdem die Gildenmänner fort waren, folgte eine weitere Bootsfahrt, dieses Mal mit einem kleinen Boot, das jedoch so schnell über die Wellen zischte, dass Mór am liebsten aufgeschrien hätte. Es schoss zwischen Inseln hindurch und schwenkte hin und her, so dass binnen weniger Minuten der Blick zurück auf ein Labyrinth aus Land und Wasser fiel. Einige Zeit fuhren sie an der Küste einer großen Insel entlang, die dicht bewaldet war und wild aussah. Schließlich legte das Boot an einem kleinen Pier unweit

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