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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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es ein neuerer Band gewesen, einer über ihren Bruder Aliver, der sie in seinen Bann gezogen hatte. Es war merkwürdig, Worte zu lesen, die die seinen gewesen sein sollten. Die Abschriften seiner Reden hatten einen Hauch derselben Förmlichkeit, die auch in den alten Texten zu finden war. Obwohl das Buch den Anschein erweckte, eine Abschrift seiner Worte zu sein, war doch allerorten die Hand eines Gelehrten zu spüren. Sie erhaschte kaum einen Hinweis auf den Bruder, den sie gekannt hatte. Doch natürlich hatte sie diesen erwachsenen Aliver nicht gekannt, den Kriegerprinzen, der eine Armee angeführt und die Massen zur Rebellion aufgerufen hatte.
    Und der Inhalt? Oh, was für Träume. Was für eine Moral! Er wollte die Welt erneuern, als wäre sie aus Lehm, den er mit den Händen formen könnte. Die Quote abschaffen. Die Gilde wegfegen. Die Faust der Akarans öffnen und alle Nationen aufsteigen lassen. Frei und gleich. Partner im Walten der Welt. Wie hatte er nur jemals glauben können, dass solcher Idealismus auch nur eine Minute in dem Raufhandel überleben könnte, der das Leben war? Es war die reinste Narretei. Die Tatsache, dass ihm so viele gefolgt waren, diente nur als weiterer Beweis dafür. Torheiten der Narren.
    In dem Text wurde er der Schneekönig genannt. Corinn konnte sich einiger Gedanken nicht erwehren. Sie erinnerte sich noch sehr gut an den Abend, als er sich selbst dazu ernannt hatte. Merkten die Gelehrten in ihren Arbeitszimmern und die Bauern in ihren Hütten, die sich Geschichten vom Schneekönig erzählten, denn nicht, dass Aliver nur ein Junge gewesen war, der über eine Schneeballschlacht gesprochen hatte, als er diese Worte von sich gegeben hatte? Obwohl sein Idealismus in ihrem Innern gelegentlich etwas zum Klingen brachte, konnte sie nicht lange genug vergessen, wie die Dinge in Wirklichkeit waren, um seinem Zauber zu verfallen. Sie glaubte, dass es einen Unterschied zwischen den Worten in Büchern und der Art und Weise gab, wie die Lebenden sich durch die Welt bewegen mussten. Sie hatte nicht die Absicht, dies zu vergessen.
    Als Rhrenna auf sie zukam und angesichts von Corinns Aussehen anerkennend mit der Zunge schnalzte, richtete die Königin ihre Gedanken wieder auf den Brief, den sie immer noch in der Hand hielt. »Was hältst du davon?«
    Rhrenna nahm das Dokument und überflog es, obwohl sie es bereits gelesen hatte. »Es klingt, als wäre sie sehr mit sich zufrieden. Ich frage mich …«
    »Herrin, beugt Euch bitte vor.«
    Corinn tat wie geheißen. Es war eigenartig, dass eine Dienerin, die sie frisierte, sie gelegentlich auf eine Art und Weise herumkommandierte, wie es Generäle, Senatoren und Soldaten niemals gekonnt hätten.
    »Was fragst du dich?«, wollte Corinn wissen.
    Rhrenna presste die dünnen Lippen zusammen. »Ich weiß nicht, ob wir es glauben sollen, aber Sinper Ou hat eine Botschaft geschickt, in der steht, er hätte gehört, Mena habe das letzte Übelding gefangen, anstatt es zu töten.«
    Es dauerte einen Moment, bis Corinn antwortete. Sie wartete, bis die Dienerin mit den Zöpfen um ihre Stirn fertig war. Sie waren schmerzhaft kompliziert, aber Corinn schätzte ein gewisses Maß an Unbequemlichkeit, wenn sie öffentliche Aufgaben wahrnahm. Es hielt sie davon ab, sich zu entspannen, und das war nützlich. »Warum sollte sie?«, fragte sie, als ihr Kopf wieder ihr allein gehörte.
    Rhrenna zuckte die Schultern. »Ich weiß es nicht. Wie gesagt, es gibt keinen Grund, es zu glauben. Die Leute erfinden gerne Geschichten über Eure Schwester. Und wenn sich auch nur die kleinste Möglichkeit bietet, schmücken sie sie kräftig aus.«
    Corinn schnaubte zustimmend. »Maeben auf Erden, ja, das ist sie.«
    »Ja … nun … ich bin gekommen, um Euch zu sagen, dass König Grae gerade eingetroffen ist.«
    »Tatsächlich?«
    »Anscheinend ein Überraschungsbesuch. Er hat darum gebeten, am Bankett teilnehmen zu dürfen. Nur als Beobachter, sagt er. Er wäre damit zufrieden, abseits zu stehen und zuzusehen.«
    »Warum ist er gekommen?«
    »Das hat er nicht gesagt. Vielleicht um seine Sommersprossen vorzuzeigen, und das Grübchen am Kinn.« Rhrenna grinste. »Es fällt nicht schwer, ihn anzusehen.«
    Corinn erinnerte sich nicht an König Grae. Zwar hatte sie ihn ein paarmal gesehen, seit sie den Thron bestiegen hatte, doch sie war damit zufrieden gewesen, ihn auf Distanz zu halten. Woran sie sich jedoch erinnerte, war die Tatsache, dass er seinem Bruder Igguldan ähnelte, und

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