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Acacia 02 - Die fernen Lande

Acacia 02 - Die fernen Lande

Titel: Acacia 02 - Die fernen Lande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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die Schwelle traten. Während Mór noch immer benommen rückwärtsstolperte, eilten die Lothan Aklun vorwärts, packten Ravi und zerrten ihn auf eine der Steinplatten zu, wobei sie mehr Kraft an den Tag legten, als sie es sich vorgestellt hatte. Mórs Blick huschte zwischen Ravi und dem Auldek hin und her. Und so sah sie, wie die Lothan Aklun Ravi auf der Platte festbanden. Sie sah, wie er sich abmühte freizukommen. Sie sah, wie die rechteckige Kiste, die von der Decke hing, sich herabsenkte, um ihn zu bedecken, sobald er festgeschnallt war. Sie hörte ihn ihren Namen schreien, kurz bevor die Steinabdeckung den Boden berührte und sein Schrei abgeschnitten wurde. Der Augenblick verstrich, und die Hände der Lothan Aklun zogen Mór aus dem Weg des Auldek. Sie wurde erneut gegen die Wand geschoben, und dort schrie sie. Ravi war in dieser Kiste. Blasser Stein. Scharfe Kanten.
    Der Auldek mit dem nackten Oberkörper wechselte Worte mit den Lothan Aklun. Er schien unter die Kiste sehen zu wollen, die Ravi bedeckte, doch sie wollten das nicht zulassen. Stattdessen deutete einer von ihnen auf Mór. Er sprach in einer kehligen Sprache, die sie nicht verstand. Ihr stockte vollkommen der Atem, als der Auldek sich umdrehte und sie anstarrte. Er kam näher. Streckte die Hand aus und berührte ihr Kinn. Sie zuckte zurück, doch er hielt sie so fest, dass sie sich nicht von der Stelle bewegen konnte. Er hob ihr Gesicht an und musterte sie, während sie gleichzeitig ihn anstarrte. Einige Sekunden lang war sein Gesicht eine Maske, faltig und scharf geschnitten, mit Augen, so undurchdringlich wie die einer Schlange. Und dann lächelte er und sagte etwas, das seine Kameraden zum Lachen brachte.
    Er ließ sie los, drehte sich um und stieg auf die zweite Steinplatte. Dann schlug er klatschend mit den Händen auf die Platte, als wollte er die Lothan Aklun zur Eile antreiben. Die anderen Auldek begaben sich zum hinteren Ende des Raums und stellten sich dort auf, wo einer der Lothan Aklun sie gestikulierend hingewiesen hatte. Die Lothan Aklun machten sich wieder an ihre Arbeit. Schon bald senkte sich die rechteckige Abdeckung über dem Auldek ebenfalls, schloss sich um ihn und schnitt die letzten Bemerkungen ab, die er gerade noch gerufen hatte.
    Mór stand wie gelähmt da und rang nervös die verkrampften Hände. Sie erinnerte sich an den Augenblick, aber sie wusste nicht mehr, wie sie sich gefühlt hatte. Das Ganze war eine Leere, und die hektischen Bewegungen ihrer Hände und die Dinge, die ihre Augen gesehen hatten, verrieten ihr nur wenig darüber. Ravi war von Stein umschlossen. Jetzt wusste sie, warum, aber was hatte sie damals gedacht? Es bekümmerte sie sehr, dass sie sich nicht erinnern konnte und dass Ravi sich dem, was er durchgemacht hatte, ganz allein hatte stellen müssen – was auch immer es gewesen war –, während sie dagestanden und die Hände gerungen hatte.
    Und der Augenblick verstrich. Kein lautes Getöse, keinen Lichtblitz, kein Geschrei, kein Blut, kein Durcheinander. Vielleicht war ein Geräusch zu vernehmen gewesen, das sie durch die Fußsohlen hatte spüren können – so etwas wie Musik –, doch noch nicht einmal dessen war sie sich wirklich sicher. Sie sah, wie die Abdeckung über dem Auldek sich wieder hob. Die Lothan Aklun eilten zu ihm. Als sie einen Augenblick später zurücktraten, rollte er sich von der Plattform. Er stellte die Füße fest auf den Boden und knurrte. Dann reckte er die Faust in die Luft, und ein Grinsen spaltete sein Gesicht. Er war immer noch derselbe, nur dass seine Haut jetzt glühte, als brenne ein Licht in seiner Brust und erleuchte ihn von innen her. Die anderen Auldek stießen zur Antwort ein Geheul aus, schwärmten lebhaft um ihn herum und klopften ihm immer wieder auf den Rücken. Die Lothan Aklun fuhren mit ihrer Tätigkeit fort und sie wandten den Auldek wieder den Rücken zu, als wären diese gar nicht mehr da.
    Der andere Deckel – der, der Ravi bedeckte – blieb geschlossen. Sie hatte Ravis Gesicht niemals wiedergesehen und wusste nicht, was noch von ihm übrig war, nachdem ihm die Seele aus dem Körper gezogen und in den des Auldek gestopft worden war. Denn genau das war geschehen. Sie würde dies erst einige Zeit später voll und ganz verstehen, wenn Yoen ihr alles auf seine freundliche, ehrliche Weise erklären würde. Deswegen kannte sie jetzt die Wahrheit. Deswegen hatte ihr Verstand mittlerweile eingesehen, was ihre Seele ihr gesagt hatte. Ravi war noch

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