Acacia 02 - Die fernen Lande
Skylenes scharf geschnittenen vogelähnlichen Gesichtszügen und Mórs katzenhafter Anmut. Mehr als einmal war er aus Träumem aufgewacht, in denen er sich auf eine Weise gepaart hatte, die er sich niemals hätte vorstellen können. Aber solche Gedanken hatten hier nichts verloren. Er schob sie beiseite.
»Warum rebelliert ihr nicht?«, fragte Dariel. »Das Volk hat so viele Fähigkeiten und ist so zahlreich – ihr könntet die Auldek niedermachen.«
Skylene ließ sich die Frage durch den Kopf gehen, und auf ihrem Gesicht erschien ein trauriges Lächeln. »Die Gilde, die Lothan Aklun und die Auldek hatten Hunderte von Jahren Zeit, um ihre Einrichtungen – das ganze System – zu vervollkommnen. Sie wissen, wie wir denken. Als wir zuerst hier angekommen sind, haben die Lothan Aklun uns auf einer Insel namens Lithram Len untergebracht. Dort haben sie uns geprüft, haben uns ausgefragt und beobachtet; und einige Zeit lang haben sie uns untereinander kämpfen lassen. Sie haben beobachtet, wer mit anderen geteilt hat, wer gekämpft hat, wer Leidenschaft gezeigt hat – und wer innerlich kalt war, berechnend, gierig, brutal. Sie haben unsere persönlichen Schwächen und Stärken kennen gelernt, allerdings haben sie beides als Charakterzüge betrachtet, die man ausnutzen kann. Schließlich haben sie uns die Rolle zugewiesen, die zu jedem am besten gepasst hat. Die Demütigen gingen an ihre Arbeit. Die Brutalen an ihre. Die Hinterhältigen an ihre. Diejenigen, die sich innerlich am meisten auflehnen, werden Geistkinder.«
»Die, die verzehrt werden?«
Skylene nickte.
»Aber trotzdem, ihr alle wisst doch, wo ihr herkommt. Ihr seid euch ähnlicher, als ihr euch voneinander unterscheidet. Offensichtlich habt ihr nicht vergessen …«
»Dariel, unser Leben hier hat viele Gesichter.« Sie legte ihm eine ihrer feinknochigen Hände aufs Knie; ihre Finger waren sehr leicht. »Viele arbeiten auf den Feldern, um Nebel zu ernten. Sie werden der Großzügige Samen genannt. Sie arbeiten schwer. Sie wissen nicht, dass sie schwer arbeiten, weil das Öl, das die Blätter der Pflanzen absondern, ihren Geist betäubt. Sie laufen benommen herum und sehen eine Welt, die sich von der unsrigen unterscheidet. Sie sind nur gerade so viel in unserer Welt, dass man sie zur Arbeit schicken kann und sie Anweisungen befolgen können.«
»Nebel stammt von einer Pflanze?«, fragte Dariel. »Die auf Feldern geerntet wird?«
»Ja. Genau das, was hilft, die Kinder aus deinem Land zu kaufen, wird hier von Sklaven verarbeitet. Das ist das System, das die Lothan Aklun und die Auldek aufgebaut haben. Es erhält sich selbst aufrecht, während sie größtenteils ein behagliches Leben führen.« Sie ließ ihre Worte einen Moment lang wirken. »Aber nicht alle sind so benebelt. Wir können nicht alle betäubt sein. Viele kümmern sich um die zahllosen Dinge, die die Auldek versorgen und erhalten. Jede erdenkliche Aufgabe wird irgendwo von einem Mitglied des Volkes erfüllt – aber nicht notwendigerweise von einem Mitglied des Freien Volkes. Manche hassen uns. Diejenigen, die die Goldenen Augen genannt werden, kümmern sich um den Handel. Sie treiben Handel und führen ein Leben, in dem es einigen Überfluss gibt, auch wenn sie nicht frei sind. Andere, wie die Göttlichen Kinder … töten. Sie sind Krieger, die beinahe den Auldek gleichkommen. Sie wohnen in Palästen, mit eigenen Sklaven. Sie leben wie Adlige, bis zu jenem Augenblick, da die Auldek von ihnen fordern zu kämpfen, und dann tun sie auch das voller Freude. Manche vergessen sogar, dass sie nicht frei sind, vergessen, dass ihre persönlichen Wünsche sich von den Befehlen, die ihnen erteilt werden, unterscheiden könnten. Der Lvin, den du vor ein paar Tagen in der Arena gesehen hast – er wurde auserwählt, weil die Lothan Aklun wussten, was er werden könnte. Ich weiß nicht, wie sie das machen, aber sie sehen Dinge in uns, die wir selbst nicht wahrnehmen können.«
Der Lvin in der Arena. Dariel wünschte, er hätte auch das nur geträumt. Es war das einzige Mal seit Beginn seiner Gefangenschaft gewesen, dass er das Tageslicht gesehen hatte. Tunnel, der ihn an jenem Tag bewachen musste, hatte ihm erklärt, dass er ihm etwas zeigen wolle. Dariel war ihm durch die Gänge gefolgt, war auf Beinen, die vom langen Nichtstun steif waren, hinter ihm hergestolpert. Tunnel hatte ihm die Ketten um die Knöchel für den Marsch abgenommen. So wie er hinter dem Mann herhumpelte, war es für beide
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