Acacia 02 - Die fernen Lande
selbst«, sagte Skylene. »Das ist es, was mit den Auldek nicht stimmt. Sie haben gedacht, sie hätten um einen Segen geschachert; stattdessen haben sie einen immerwährenden Fluch bekommen. Sie leben weiter, ihre Körper sind dieselben und ihre Seelen mehr und mehr verzerrt. Das ist der Fluch des Seelenfängers.«
Sie goss Wasser aus einem kleinen Steinkrug in zwei Becher aus dem gleichen marmorierten Material. Einen schob sie über den Tisch hinweg Dariel zu, den anderen hielt sie für Tunnel hoch, der den Kopf schüttelte. Daraufhin trank sie selbst einen Schluck. »Denk einmal darüber nach. Einerseits lebst du Jahr um Jahr weiter. Du stirbst dann und wann, nur um wieder aufzustehen. Wunderbar, nicht?«
Dariel rollte den Steinbecher zwischen den Handflächen hin und her und erfreute sich an seiner glatten Oberfläche, an der Kühle, die er auf seiner Haut spürte. Seine Handgelenke waren erst wenige Tage zuvor losgebunden worden. Er war immer noch damit beschäftigt, seine Beweglichkeit zurückzuerlangen. Eine kurze Kette fesselte auch weiterhin seine Beine und scheuerte ihm die Knöchel auf, aber er machte Fortschritte, gewann ihr Vertrauen. Darum ging es doch es in dieser unerwarteten Unterredung, oder? Irgendetwas hatte sich geändert. Er konnte es in Skylenes Stimme hören, und er sah, wie etwas an den Rändern von Tunnels bizarren Gesichtszügen spielte. »Ich glaube nicht, dass Unsterblichkeit ein so großes Geschenk ist«, sagte er. »Nicht, wenn sie einen für immer von geliebten Menschen trennt, die vor einem gestorben sind.«
»Das ist wahr. Und was ist, wenn du niemals Kinder haben kannst? Du kannst dich nicht in Generationen sehen, die nach dir weiterbestehen werden. Für manche spielt das keine Rolle, andere treibt die Vorstellung in den Wahnsinn.«
»Haben sie deshalb angefangen …« Dariel zögerte, schaute von Skylene zu Tunnel und wieder zurück. Die eine sah wie eine Vogelfrau aus, der andere wie ein muskelbepackter Ebermann. »Haben sie deshalb angefangen, euch so zu verändern?«
»Das habe ich nicht gemeint«, erwiderte Skylene. »Was sie mit uns machen, nennen wir ›Zugehörigkeit‹. Sie haben es getan, weil es eine Möglichkeit ist, die Verbindung zu ihren Tiergottheiten aufrechtzuerhalten, so dass sie sie nicht ganz aufgeben mussten. Manchmal ist es schmerzhaft, aber Schmerzen vergehen. Wir gewöhnen uns an die Veränderungen. Und manchmal sind wir stolz darauf.«
»Wie ist das überhaupt möglich?«
Skylene lächelte. »Tätowierungen sind Tätowierungen. Viele davon machen wir selbst. Einige von uns wurden von den Auldek auserwählt, noch weiter verändert zu werden, aber alles, was wirklich schwierig war, haben die Lothan Aklun gemacht. Tunnels Hauer. Sie sind aus Metall, aber sie sind auch ein Teil von ihm, sind mit den Knochen seines Schädels verschmolzen. Die Lothan Aklun können – oder konnten – viele merkwürdige Dinge tun.
Nein, das, was ich gemeint habe, waren größere Verderbtheiten. Zwei Clans sind wegen unverzeihlicher Abartigkeiten bestraft worden. Der erste war der Clan der Weißäugigen Schlange – die Fumel. Ihr Verbrechen? Rate mal.«
Dariel starrte sie mit ausdruckslosem Gesicht an. Er hatte keine Ahnung, und es schien ihm Zeitverschwendung zu sein, auch nur zu versuchen, es zu erraten.
»Die Fumel haben das erste Verbot übertreten. Sie haben angefangen, die Menschen als ihre eigenen Kinder aufzuziehen. Sie haben so getan, als wären sie von ihrem eigenen Blut. Manche haben versucht, ihre Sklaven wie Fumel aussehen zu lassen! Stell dir das vor. Sie haben diese Sklaven in Fumel-Gestalt die anderen Sklaven unterjochen lassen.
Als die anderen Auldek davon gehört haben, haben sie die Fumel bestraft und sie aufgefordert, ihnen alle veränderten Kinder zu übergeben, damit sie ausgelöscht werden. Die Fumel haben das nicht getan. Die anderen Clans haben sich gegen sie zusammengeschlossen, aber die Fumel haben sich gewehrt. Als es vorbei war, waren zu wenige von ihnen übrig, und auf ihnen hat das Verbrechen gegenüber den anderen Clans zu schwer gelastet. Die Fumel wurden ausgelöscht. Wenn du nach Süden reist – dorthin, wo einst ihr Land war – wirst du eines Tages vielleicht die Blutende Straße sehen. Dort zieren die Leichen der Fumel immer noch die Pfähle, auf denen sie aufgespießt wurden. Sie hatten einst eine Stadt auf einem niedrigen Hügel, der von einem Netzwerk flacher Kanäle umgeben war. Nachdem die anderen Clans dort fertig waren,
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