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Acacia

Titel: Acacia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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Tagesmärsche hinter Hardith brach ein Schneesturm über die Soldaten herein. Er fiel über sie her wie ein Vielfraß, drückte sie zu Boden und versuchte, sie in Fetzen zu reißen. Sie kamen vom Weg ab und verbrachten einen ganzen Tag mit der erfolglosen Suche nach der Straße. Der Schnee türmte sich zu hohen Graten auf, die wie Meereswellen wogten und die Orientierung unmöglich machten. Die Männer konnten sich weder nach der Sonne richten noch nachts nach den Sternen. Leeka befahl seinen Männer zu koppeln. Das war mühselig, und der Großteil der Truppe musste lange an Ort und Stelle verharren, was unter solchen Bedingungen niemals gut war.
    Jeden Abend bemühte sich der General, einen Lagerplatz im Schutze eines Grats oder Hügels oder einer Baumgruppe zu finden, denn in den Senken fanden sich jetzt hin und wieder Bäume. Soldaten hackten Brennholz und errichteten Windschutzwälle. Wenn die Lagerfeuer ordentlich brannten, schleppten sie ganze Bäume in die Flammen. Mit von der Hitze geröteten, schwitzenden Gesichtern und vom Rauch tränenden Augen umstanden sie die prasselnden Feuer, während in ihrem Rücken der Wind heulte. Ganz gleich, wie groß das Feuer am Abend auch sein mochte, im Laufe der Nacht brannte es unweigerlich herunter, und der Wind wehte Asche und angekohltes Holz über den Schnee. Wenn sich die Soldaten des Morgens aus der gefrorenen Schneekruste befreiten, dauerte es Stunden, bis sie alle Männer unter den Schneewehen gefunden und ausgegraben hatten und sich die Hunde wieder in Bewegung setzten.
    Als sie am zweiundzwanzigsten Tag erwachten, wehte ein schneidender Wind aus Norden, der Eiskristalle mit sich führte, die auf der Haut schmerzten wie Glasscherben. Kaum hatten sie das alte Lager hinter sich gelassen, kam einer der Kundschafter zur Hauptkolonne zurückgestolpert und bat, den General sprechen zu dürfen. Zu melden hatte er nichts Genaues. Soweit er das feststellen könne, liege vor ihnen ebenes Gelände. Er glaubte, dass sie sich auf einem flachen Hang befanden, der sie nach Tahalia zurückführen werde. Etwas aber bereitete ihm Sorge. Von der Luft und dem gefrorenen Boden unter ihm gehe ein seltsames Geräusch aus. Er habe es nur hören können, weil er allein gewesen sei, weit entfernt vom Lärm der marschierenden Armee und der kläffenden Hunde. Als er auf dem Rückweg an den Schlittenhunden vorbeigekommen sei, habe er gesehen, dass sie es ebenfalls hörten und davon unruhig wurden.
    Der General neigte den Kopf dem Ohr des Mannes entgegen, damit seine Worte im Tosen des Windes nicht verloren gingen. »Was war das für ein Geräusch?«
    Der Kundschafter hatte diese Frage anscheinend befürchtet. »Es hörte sich an, wie wenn jemand atmet.«
    »Atmet?«, höhnte Leeka. »Das ist doch nicht dein Ernst. Wie soll man denn bei diesem Sturm jemanden atmen hören? Deine Ohren haben Schaden genommen.«
    Der General riss dem Mann die Kapuze herunter, als wollte er seine Ohren auf der Stelle begutachten. Der Kundschafter ließ es zu, mit seiner eigenen Antwort unzufrieden. »Oder wie ein Herzschlag. Ich bin mir nicht sicher, Herr. Es ist einfach da.«
    Der General maß der Meldung allem Anschein nach keine besondere Bedeutung bei, doch nach einer Weile entfernte er sich ein Stück weit von seinen Offizieren, um nachzudenken. Selbst wenn die Geschichte des Mannes nur Ausdruck geistiger Verwirrtheit sein sollte, stellte sie trotzdem eine Gefahr dar. Kundschafter gaben nicht nur Auskunft über das Gelände. Vielleicht sollten sie anhalten oder zum letzten Lagerplatz zurückkehren, wo noch ausreichend Brennholz vorhanden war. Dort könnten sie abwarten, bis der Sturm sich legte, und sich notfalls von den Reserven ernähren. Schließlich war es bis Tahalia nicht mehr weit. Selbst wenn Hanish Mein etwas im Schilde führte, müsste er sie dennoch empfangen und sich zumindest freundlich geben...
    Zuerst hörte er das Geräusch, weil er sich am Rand der Kolonne befand, wenngleich »hören« vielleicht nicht der richtige Ausdruck war. Mit dem Lärm der Truppen hinter sich, dem Stampfen ihrer Füße und dem Scharren eines vorbeifahrenden Schlittens, nahm er das Geräusch weniger mit den Ohren wahr. Er spürte es, als werde ein dumpfes Vibrieren von seinem Brustkasten aufgenommen und verstärkt. Rasch entfernte er sich ein paar Schritte weiter von den marschierenden Soldaten und ließ sich auf ein Knie nieder. Einer seiner Offiziere rief ihm etwas zu, doch als er die geballte Faust emporreckte,

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