Acacia
damit er rasch vorankommt und immer frische Pferde vorfindet. Innerhalb eines Monats werden wir von ihm hören, vielleicht sogar noch eher, wenn er nach Aushenia segelt und dann die kurze Landroute nimmt. Dafür wird er höchstens fünfundzwanzig Tage brauchen. Dann wissen wir mehr.« Thaddeus hielt inne und wartete auf die Erwiderung des Königs. Mehr als ein zustimmendes Brummen ließ Leodan nicht vernehmen, doch dem Kanzler reichte das. Er trank einen Schluck Wein. »Und dann werdet Ihr sehen, dass gar nichts Wichtiges dahintersteckt. Leeka ist den Mein schon immer mit großem Misstrauen begegnet, aber hat es sich schon einmal als berechtigt herausgestellt?«
»Die Lage hat sich geändert«, gab der König zu bedenken. »Heberen Mein war ein vernünftiger Mann, aber er ist tot. Seine drei Söhne sind anders als er. Hanish ist ehrgeizig; dessen konnte ich mich selbst vergewissern, als ich die Stadt besucht habe. Damals war er noch ein Knabe. Maeander ist die Bosheit in Person, und Thasren ist mir ein Rätsel. Mein Vater wusste genau, dass er ihnen niemals würde trauen können. Er hat mich geloben lassen, dass ich niemals der Schwäche des Vertrauens anheimfallen werde. Du hast selbst gesagt, ich würde mir nicht genug Sorgen machen. Gemeinsam haben wir Pläne für alle möglichen tragischen Ereignisse geschmiedet, wisst Ihr noch?«
Thaddeus lächelte. »Gewiss. Das ist meine Aufgabe. In meiner Jugend habe ich überall versteckte Dolche gesehen. Aber Acacia war niemals stärker als jetzt. Das meine ich ernst, mein Freund.«
»Das weiß ich, Thaddeus.« Der König richtete den Blick zur Decke. »Schon bald werde ich die Kinder aufscheuchen und mit ihnen auf Reisen gehen. Wir werden jede einzelne Provinz des Reiches besuchen. Ich werde mich bemühen, meine Untertanen davon zu überzeugen, dass ich ein gütiger König bin; und sie werden versuchen, mich davon zu überzeugen, dass sie getreue Untertanen sind. Vielleicht lässt sich der Schein noch eine Weile aufrechterhalten. Was sagt Ihr dazu?«
»Das klingt gut«, antwortete Thaddeus. »Damit würdet Ihr den Kindern eine große Freude bereiten.«
»Ihr ›Onkel‹ müsste uns natürlich begleiten. Sie lieben Euch ebenso sehr wie mich, Thaddeus.«
Der Kanzler zögerte einen Moment. »Das wäre eine unverdiente Ehre.«
Der König wiederholte diese Antwort mehrere Male im Kopf und fand umso mehr Trost darin, je weiter er sich vom ursprünglichen Wortlaut entfernte. Etwas Ähnliches hatte er früher einmal zu Aleera gesagt. Wann war das gewesen? Ich habe deine Liebe nicht verdient. Das hatte er gesagt. Warum hatte er das gesagt? Natürlich weil es stimmte. Er hatte es einige Tage vor der Hochzeit zu ihr gesagt. Er hatte zu viel Wein getrunken und sich zu viele schmeichelnde Reden anhören müssen. Weil er es nicht länger ertragen konnte, hatte er seine zukünftige Braut beiseite genommen und ihr die Wahrheit gesagt. Er hatte ihr die Verbrechen des Reiches gestanden, die alten, die, welche im Namen seines Vaters begangen worden waren, und die, welche vermutlich in seinem Namen geschehen würden. Alles hatte er ihr enthüllt, tränenreich und jämmerlich und sogar streitlustig, denn er hatte geglaubt, sie werde vor ihm zurückschrecken, sich von ihm abwenden und nichts mehr von ihm wissen wollen. Insgeheim hatte er das sogar gehofft. Eine ehrbare Frau konnte doch gewiss nicht anders handeln. Und er zweifelte nicht an ihrer Ehrbarkeit.
Ihre Antwort jedoch versetzte ihn in Erstaunen. Sie trat ganz nahe an ihn heran und hob ihr hübsches Gesicht mit den großen Augen zu ihm auf. In ihrem Blick lag keine Überraschung, kein Bedauern und kein Vorwurf. Ein König ist der beste und der schlimmste aller Männer, sagte sie. Natürlich. Gewiss. Sie drängte ihre Lippen gegen die seinen, so weich und voller Begehren, dass es ihm den Atem verschlug. Das war vielleicht der Moment gewesen, da sie sich wahrhaft vermählten, der Augenblick, da der Bund zwischen ihnen besiegelt wurde. Er wusste nicht zu sagen, was an ihrer Liebe ihn am meisten anzog. War es die Tatsache, dass sie ihm alles verzeihen und ihn lieben konnte, weil sie verstand, dass er im Grunde seines Herzens ein gütiger Mensch war? Oder dass sie dadurch, dass sie ebenso fähig war wie er, die Wahrheit zu leugnen und mit der Lüge zu leben, all dies verriet? Wie auch immer, nachdem er sich ihr offenbart und ihren Segen erhalten hatte, liebte er sie von ganzem Herzen. Ohne ihre Billigung hätte er seine Rolle als
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