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Acacia

Titel: Acacia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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schwache Menschen eine solche Verlockung dar? Warum übte eine auf Lügen gegründete Nation auf Menschen, die es eigentlich hätten besser wissen müssen, eine solche Anziehungskraft aus?
    Diese Fragen beschäftigten Thasren auch an jenem Abend, als er sich von der Steinmauer in den Hinterhof des Anwesens des Botschafters hinabgleiten ließ. Aufgrund der Beobachtungen, die er an diesem Nachmittag angestellt hatte, glaubte er die genaue Anzahl der Personen zu kennen, die sich im Haus aufhielten. Methodisch machte er sich daran, jeden von ihnen ausfindig zu machen. Langsam schritt er durch das schlafende Haus und hielt in jedem Raum so lange inne, bis sich seine Augen an die dortigen Lichtverhältnisse gewöhnt hatten. Dabei achtete er darauf, nirgendwo anzustoßen, keine leichte Aufgabe in einem Haus, das vor nutzlosem Plunder, von Schmuckvasen und lebensgroßen Statuen, zum Sitzen ungeeigneten kleinen Stühlen und ausgestopften Tieren fast barst. Jeder Raum roch anders. Ihm wurde klar - vielleicht schneller, als es bei Tag der Fall gewesen wäre -, dass die Gerüche von verschiedenen Blumen ausgingen.
    Die Tochter des Botschafters fand er schlafend vor und fesselte sie, ohne ein Geräusch zu machen. Sie hob lediglich abwehrend die Hand, als er ihr ein Tuch auf den offenen Mund drückte, als wolle sie aus einem angenehmen Traum nicht aufgeweckt werden. Der halbwüchsige Sohn des Mannes hatte einen leichten Schlaf und war zudem kräftig, und die beiden rangen eine Weile im Dunkeln miteinander. Es war ein eigentümlich gedämpfter Kampf, da der Junge selbst dann noch stumm blieb, als der Attentäter ihm die Arme so sehr verdrehte, dass er sie ihm beinahe gebrochen hätte. Die Mutter der Kinder schnappte nach Luft, als die sichelförmige Klinge gegen ihre Luftröhre drückte. Sie riss die Augen auf, blickte in das Gesicht des Fremden und formte mit den Lippen den Namen ihres Mannes, doch ob dies eine flehende Bitte war oder eine Anklage, vermochte der Attentäter nicht zu sagen. Er fesselte jeden, den er fand, und war sich dabei vollauf bewusst, wie großmütig er war. Die drei Hausbediensteten jedoch waren etwas anderes. Sie schliefen dicht beieinander, und alle erwachten gleichzeitig und setzten sich zur Wehr. Beinahe war es eine Erleichterung für ihn, eine Erlösung, sie aufzuschlitzen und zu lauschen, bis sie still und reglos liegen blieben. Wegen des Lärms, den sie gemacht hatten, wartete er eine Weile, bis er sicher war, dass niemand sie gehört hatte.
    Gurnal hätte in jener Nacht eigentlich etwas ahnen müssen. Er hätte bereits auf den Beinen sein müssen, bewaffnet und tödlich, doch der jahrelange Aufenthalt in Acacia hatte ihn abgestumpft. Just als der Attentäter sein Zimmer betrat, wälzte er sich auf dem Bett von einer Seite auf die andere und wieder zurück, in die Laken verwickelt wie ein Kind. Als er sich schließlich auf die Ellbogen aufstützte, brummte er vor sich hin. Er schwenkte die Beine aus dem Bett, setzte die nackten Füße auf den Boden und blieb auf der Bettkante sitzen. Ahnte er, dass etwas nicht stimmte? Wenn ja, so verhielt er sich nicht so. Thasren, der im Schatten neben der Kleiderablage stand, bemerkte er nicht. Er murmelte etwas, dann richtete er sich auf und trat auf die Tür zum Gang zu.
    Der Attentäter glitt tief geduckt hinter der Ablage hervor und zielte mit dem Messer auf die Kniekehlen. Erst ein Bein, dann das andere, zwei geübte Schnitte wie ein Metzger. Als Gurnal zusammenbrach, packte der Attentäter den Kragen des Schlafgewands und riss ihn zurück. Im nächsten Moment drückte er die Arme des Mannes mit den Kniescheiben so fest nieder, dass er spürte, wie die Muskeln über den Knochen glitten. Gurnal schrie aus Leibeskräften, bis der Attentäter ihm das Messer an die Nasenspitze drückte. Dies reichte aus, um den Botschafter zum Schweigen zu bringen.
    »Wem dienst du?«, fragte Thasren. Er bediente sich seiner Muttersprache, die voller harter Laute war, wie Flusskiesel, die unter einem Meißel zersprangen.
    Der Mann blickte dem Angreifer verständnislos in die grauen Augen, welche die gleiche Farbe hatten wie die seinen. »Den Mein. Dem Blut der Tunishni, den Tausenden, die gestorben sind und mit denen... ich eins bin.«
    »Es ist gut, dass du diese Worte gebrauchst. Es sind die richtigen Worte; aber bist du auch ein richtiger Mann?«
    »Gewiss«, sagte Gurnal. »Wer bist du? Warum hast du mich verstümmelt? Ich bin...«
    »Schweig! Ich stelle hier die Fragen.« Der

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