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Acacia

Titel: Acacia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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hinter dem Berg. Dariel war klug genug, um die Untertöne wahrzunehmen. Sie zu deuten vermochte er nicht. Er hatte Val bereits erklärt, wie er in die Quartiere der Arbeiter gelangt war. Er hatte gesagt, er sei halt abenteuerlustig, liebe die Gefahr und möge Leute, die nicht so langweilig und steif seien wie die bei Hofe. Val wusste das alles, trotzdem stellte er ihm ab und zu dieselbe Frage, als hätte ihn keine von Dariels bisherigen Antworten zufriedengestellt. Um das Schweigen zu beenden, platzte er mit dem Ersten heraus, was ihm in den Sinn kam.
    »Die alte Frau, die auf mich aufpasst, trinkt etwas und schläft dann immer ein.«
    »Wirklich?«
    »Ja, und es ist so langweilig, einfach nur herumzusitzen.«
    Val steckte sich einen Zwieback in den Mund und redete mit vollem Mund. »Wer guckt schon gern einer alten Frau beim Schlafen zu?«
    Wieder nahm Dariel einen ironischen Unterton wahr, schenkte ihm jedoch weiter keine Beachtung. Er sah eine seltene Aufforderung, über die Dinge zu sprechen, die ihm wirklich am Herzen lagen. Er erklärte, dass seine älteren Geschwister nicht immer nett zu ihm seien. Im nächsten Satz verbesserte er sich gleich wieder: Mena sei immer sehr nett zu ihm, aber Corinn halte ihn für dumm, und Aliver könne ihn nicht leiden. Aliver habe ihn einmal angeschrien, er solle ihn in Ruhe lassen, und Corinn habe ihm gesagt, er solle aufhören, sie anzuatmen, und sie wünschte, er wäre als Mädchen zur Welt gekommen. Niemand habe Zeit für ihn. Keiner nehme Rücksicht darauf, dass er keine Spielkameraden habe. Er zeichnete ein trauriges Bild von tagtäglicher Verlassenheit und lebenslanger Einsamkeit.
    Val hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen. Hin und wieder brummte er etwas, verspeiste seinen Zwieback und betrachtete die vorbeifahrenden Schiffe. Als Dariel zu ihm aufsah, blickte er in die sich im Rhythmus des Atmens blähenden Nasenlöcher und sah die mit Kohlenstaub bedeckten Härchen. Aus irgendeinem Grund musste er daran denken, wie sein Vater bisweilen nachts in sein Zimmer kam und ihn auf Wange, Stirn und Mund küsste. Dariel ließ es sich niemals anmerken, wenn er dabei aufwachte, doch er hatte einen leichten Schlaf und öffnete die Augen häufig schon einen Spalt weit, wenn sein Vater ins Zimmer trat. Manchmal tropften Tränen auf sein Gesicht.
    Und dann hatte er ein schlechtes Gewissen wegen all dem, was er gerade gesagt hatte. Warum hatte er das getan? In Wahrheit liebte er seine ganze Familie so sehr, dass es ihm geradezu Angst machte. Seine Geschwister waren, jedes auf seine Art, ein Sinnbild von Vollkommenheit, und er vergötterte sie. Er fürchtete sich vor dem Tag, an dem sein Vater aufhören würde, ihm so verschwenderisch seine Zuneigung zu zeigen, obgleich er sich auch vor der unermesslichen Traurigkeit fürchtete, die ihr Ursprung zu sein schien. Er wusste, dass seine Mutter gestorben war, hatte jedoch keine Erinnerungen an sie. Wenn einmal etwas so Schreckliches geschehen war, konnte es sich jederzeit wiederholen. Er könnte jemanden verlieren, ein schrecklicher Gedanke. Um das Thema zu wechseln, bat er seinen Freund, von seiner Zeit als Räuber zu erzählen.
    Val zögerte einen Moment, doch dann gewannen seine Erinnerungen die Oberhand. Er sei in einer Seeräuberfamilie zur Welt gekommen, erzählte er, die Verspins habe man sie genannt. Soweit er zurückdenken könne, habe er ein unstetes Leben geführt, meistens an Bord der schnellen Schiffe ihrer Zunft, manchmal auf einer der Außeninseln, auf denen sie sich nach einem erfolgreichen Überfall versteckten. Ihrem Gewerbe seien sie entlang der Küste nachgegangen, von Nordcandovia bis nach Talay hinunter. Stets hätten sie bei Nacht zugeschlagen und sich in schlafende Dörfer oder Weiler geschlichen. Sie hätten mitgenommen, was ihnen gefiel, und keinen Pardon gewährt, wenn sich ihnen jemand in den Weg stellte. Die Beute hätten sie gegen alles eingetauscht, was sie an Vorräten brauchten, und sich anschließend auf die Inseln zurückgezogen und monatelang in Frieden gelebt, geangelt, am Strand gelegen und getrunken, miteinander gerauft und sich des Lebens erfreut, bis die Zeit für einen neuen Raubzug gekommen sei.
    Dariel fror jetzt, denn aus Nordwesten wehte ein kalter, feuchter Wind, doch er ließ sich nichts anmerken. »Warum bist du jetzt kein Räuber mehr?«
    Val zuckte mit den Schultern. Er brummte, er müsse sich wieder an die Arbeit machen, und richtete sich schwerfällig auf. Dann hielt er inne, warf einen

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