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Acacia

Titel: Acacia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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letzten Blick aufs Meer und murmelte, da braue sich etwas zusammen. »Ehrlich gesagt hat mir das Räuberdasein keinen Spaß mehr gemacht«, sagte er schließlich. »Es sind zu viele dabei umgekommen, die ich gut kannte. Als ich noch jung war, hat mir das nicht so viel ausgemacht. Ich habe geglaubt, es wäre mein gutes Recht, mir zu nehmen, was ich kriegen konnte, und alle zu töten oder zu verletzen, die mir dabei im Weg standen. Ihr müsst wissen, dass die Welt voller Menschen ist, die kaum besser sind als Tiere. Jetzt mache ich Witze darüber; wir sitzen hier und reden über die alten Zeiten; aber ich war dreißig Jahre meines Lebens ein Tier. Doch ein Mensch ist was anderes als ein Tier. Wenn wir in uns gehen, merken wir, dass wir falsch gehandelt haben. Als ich die Räuberei aufgegeben habe, bin ich hierhergekommen, um Eurem Vater zu dienen. Für Euch bin ich Val, der Heizer, aber vor langer Zeit war ich ein kaltblütiger Mörder. Könnt Ihr Euch das vorstellen?«
    Dariel betrachtete das zerfurchte Gesicht des Mannes, das so groß und schwarz war und auf so mächtigen Schultern saß, dass er meinte, im Schatten eines Berges zu stehen. Trotzdem konnte Dariel ihn sich nicht als Mörder vorstellen. So erschreckend und lebendig die Erzählungen des Heizers waren, und so begierig er ihnen lauschte, vermochte er gleichwohl nicht zu glauben, dass Val jemals einem Menschen etwas zuleide getan habe. Sein Gesicht war nur deshalb so finster, damit sein Lächeln umso heller erstrahlen konnte. Er war einfach nur ein Arbeiter aus der Unterwelt des Palasts, ein freundlicher Riese, der seinen Beruf wahrscheinlich von seinem Vater geerbt hatte und nie von der Insel heruntergekommen war, einer, der genau wusste, was für Geschichten ein Junge wie Dariel hören wollte, und sie aus purer Freundlichkeit zum Besten gab.

13

    Leodan Akaran war ein Mann voller Widersprüche. In seinem Kopf spielten sich lautlose Kämpfe ab, die sich von einem Tag zum nächsten hinzogen, ohne dass je eine Entscheidung gefallen wäre. Er wusste, dass dies eine Schwäche war, dass er die Natur eines Tagträumers, eines Dichters, eines Gelehrten und Menschenfreundes hatte: wohl kaum die richtigen Eigenschaften für einen König. Seine Familie hüllte er in das Luxusleben Acacias, während er ihr den verabscheuungswürdigen Tauschhandel verschwieg, durch den dies bezahlt wurde. Sein Ziel war es zu verhindern, dass seine Kinder je rohe Gewalt erleben würden, obwohl dieses Privileg mit der Klinge an den Kehlen anderer erkauft wurde. Es war ihm zuwider, dass zahllose Bewohner seiner Länder von einer Droge abhängig waren, die ihren Arbeitswillen und ihre Gefügigkeit sicherstellte, und doch frönte er dem gleichen Laster wie sie. Er liebte seine Kinder mit solcher Hingabe, dass ihn bisweilen Albträume plagten, in denen ihnen etwas zustieß. Dabei wusste er, dass seine Handlanger anderen Eltern die Kinder aus den Armen rissen und sie sie niemals wiedersahen. Das war ungeheuerlich, und in mancherlei Hinsicht, fand er, trug er selbst Schuld daran.
    Nichts von alledem hatte er persönlich ausgelöst; genau wie seine Kinder war auch er in diese Verhältnisse hineingeboren worden. Er war mit denselben Geschichten aufgewachsen, die er jetzt seinem Jüngsten erzählte. Ihm war der gleiche Respekt vor den Heroen seines Volkes eingeflößt worden. Er hatte die Figuren geübt, hatte respektvoll die Würdenträger aus allen Gegenden des Reiches angestarrt und blind geglaubt, sein Vater sei der rechtmäßige Herrscher der ganzen Welt.
    Als er im Alter von neun Jahren zum ersten Mal das Kidnaban-Bergwerk gesehen hatte - die ins Gestein gehauenen klaffenden Gruben, die unzähligen, nur mit einem Lendenschurz bekleideten Arbeiter, die wie Ameisen in Menschengestalt schufteten -, da hatte er schlicht nicht begriffen, was das bedeutete. Er konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum diese Männer und halbwüchsigen Knaben ein solches Leben gewählt haben sollten, und er fragte sich nicht, weshalb dieser Tag Knoten der Angst in seinem Leib hinterließ. Doch kurz nach seinem vierzehnten Geburtstag wurde ihm in rascher Folge klar, dass die Grubenarbeiter in allen Provinzen zwangsweise verpflichtet wurden, dass die Würdenträger, die Acacia aufsuchten, eine privilegierte Minderheit darstellten und verantwortlich für die Unterdrückung des Großteils ihrer eigenen Völker waren.
    Das war schon schockierend genug, doch erst als er von der Quote erfuhr, wurde er tätig.

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