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Acacia

Titel: Acacia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Anthony Durham
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gehabt haben. Als er durch die Gradthische Lücke eilte, kam er sich beinahe wie ein Flüchtling vor, der um sein Leben fürchtete.
    Als Rialus in Aushenia eintraf, waren deshalb alle Bestandteile seines Täuschungsmanövers an ihrem Platz. In einer eiligen Beratung mit König Guldan berichtete er, wie die fremden Invasoren aus dem Schneetreiben hervorgekommen seien. Er sei schon seit geraumer Zeit besorgt gewesen, behauptete Rialus, wegen vager Berichte über Truppenbewegungen weit draußen auf den nördlichen Eisfeldern. Deshalb habe er General Alain ausgesandt, um das Gebiet in Augenschein zu nehmen und die Mein-Brüder zur Rede zu stellen. Er habe nichts mehr von ihm gehört und deshalb befürchtet, es sei ein Unglück geschehen, doch der eigentliche Angriff habe ihn vollkommen überrascht.
    Die Numrek, sagte er, seien in einer gewaltigen Horde aufgetaucht, massige Kolosse, unter Fellen und Häuten verborgen, bewaffnet mit Piken von zweifacher Mannslänge und Krummschwertern mit beschwerter Spitze. Viele von ihnen ritten auf gehörnten Tieren, Geschöpfen mit Panzerhaut und zotteligem Fell. Sie strömten durch die Festungstore, noch ehe Alarm gegeben worden sei. Weder hätten sie sich angekündigt noch ihr Eindringen erklärt; sie hätten einfach angefangen, wahllos zu töten, ein unerbittliches Gemetzel, dem sie voller Genuss und gieriger Freude frönten. Beim Kämpfen hätten sie laut gegrölt und zum Takt einer unsichtbaren Trommel getanzt.
    Dies alles war nicht weit von der Wahrheit entfernt. Die Numrek - Maeander hatte sie als seine Gäste bezeichnet - waren tatsächlich als blutgieriger Haufen aufgetaucht. Obwohl sie nur auf geringen militärischen Widerstand gestoßen waren, war es ihnen trotzdem gelungen, Menschen zu finden, die sie töten konnten, und sie mit der von Rialus beschriebenen Mordlust zu massakrieren. Allerdings erwähnte er Guldan gegenüber nicht, dass die gesamte nördliche Schutztruppe in einer ungeheuerlichen Falle den Tod gefunden hatte. Vielmehr behauptete er, die zahlenmäßig weit unterlegenen Soldaten hätten in einem verzweifelten Rückzugsgefecht einen Festungsteil nach dem anderen dem Gegner überlassen müssen, bis die gesamte Besatzung mit dem Rücken an der letzten Granitmauer gestanden habe. Erst dann habe er sich bereit erklärt, mit diesen Ungeheuern zu verhandeln, beteuerte Rialus.
    »Ihr habt ihrem Anführer ins Gesicht geblickt?«, fragte Guldan. In seiner Jugend war er ein hochgewachsener Mann gewesen. Selbst jetzt noch, da er in seinem königlichen Beratungsraum saß, den Rücken von einer Versteifung des Rückgrats ein wenig gebeugt, strahlte er angeborene Würde aus. Sein Gesichtsausdruck war gelassen, allerdings zitterte seine Stimme vor Bestürzung. »Wie nennt er sich?«
    »Calrach«, antwortete Rialus. »Fremdartigere Wesen hat es nie gegeben. Seit die Alten die Götter von Ithem besiegt haben, hat es dergleichen in der Bekannten Welt nicht mehr gegeben.«
    »Wollt Ihr damit sagen, sie seien Götter?«, warf einer von Guldans Beratern ein.
    Rialus war einen Moment sprachlos. »Nun ja, nein«, antwortete er dann. »Ich meine nur, dass sie fürchterlich anzusehen sind. Höchst beunruhigend.«
    Wie so vielem in seiner seltsamen Scharade konnte Rialus sich auch hierüber vollkommen aufrichtig auslassen. Als er vor den Numrek stand, hatte er das Gefühl gehabt, durch das stark verzerrende Glas eines Fensters und in ein vollkommen anderes Zeitalter zu blicken und Wesen vor sich zu sehen, deren Tonleiber in einem anderen Ofen gebrannt worden waren als irdische Menschen, dazu bestimmt, eine andere Welt zu bewohnen, eine ältere Epoche. Sie waren groß gewachsen, mindestens drei bis vier Köpfe größer als ein gewöhnlicher Mensch, mit langen Gliedmaßen, die Schultern breit und flach, als trügen sie eine Art vierkantiges Joch unter der Haut. Sie hatten schwarzes Haar und buschige Brauen. Rialus glaubte zunächst, ihre Haut sei gepudert oder bemalt, so blass waren sie. Als er unbehaglich dicht an sie herantrat, sah er jedoch, dass dies ihre natürliche Hautfarbe war, ein Farbton, welcher der mit Ziegenblut gemischten Milch glich, die die Vadayaner zu Neujahr tranken. Ihre Haut war eine dünne Membran, unter der ein kompliziertes Adernmuster pulsierte, alle so deutlich zu erkennen, als seien sie auf Papier gezeichnet und würden vor eine Lampe gehalten.
    Die Körperkraft Calrachs, ihres Anführers, zeigte sich in den hervortretenden Strängen seiner Halsmuskeln. Selbst

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