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Accelerando

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Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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ihren persönlichen
Stempel aufgedrückt haben. Gleichbehandlung verlangen auch
die ehrgeizigen theologischen Konstruktionssysteme der Tipleriten
von der Reformierten Kirche der Heiligen der Letzten Tage (sie
möchten so viele Menschen wie möglich in Echtzeit
heraufladen und abspeichern, damit diese ihre Chance auf
Erlösung nicht verpassen).
    Die Memsphäre der Menschen erwacht zum Leben, allerdings
ist fraglich, wie lange sie noch erkennbar »menschlich«
bleiben wird. Während die dekonstruierte unintelligente
Materie der inneren Planeten in Computronium umgewandelt wird,
nähert sich deren Informationsdichte merklich der
Avogadro’schen Konstante von Bits pro Gramm-Molekül, das
heißt einem Bit pro Atom. Eine Ausnahme macht nur die Erde:
Derzeit tastet man sie noch nicht an, konserviert sie wie einen
malerischen, historischen Bau, der als Anachronismus in einem
Industriepark herumsteht.
    Nicht nur im inneren System verwandelt sich unintelligente
Materie in Computronium. Dieselben Kräfte sind auch auf den
Jupiter- und Saturnmonden am Werk; allerdings wird es wohl eher
tausende von Jahren als bloße Jahrzehnte dauern, die
Gasriesen selbst auseinander zu nehmen. Auch die gesamte
Sonnenenergie würde nicht ausreichen, die enorme Masse des
Jupiters in kürzerer Zeit als mehreren Jahrhunderten in
Orbitalgeschwindigkeit zu versetzen. Möglich, dass die
kurzlebigen primitiven Denker, die Nachfahren der in der
afrikanischen Steppe angesiedelten Affen, völlig vom Erdboden
verschwunden sind oder ihre fleischlichen Körper zugunsten
höherer Ebenen verlassen haben, wenn das solare
Matroschka-Gehirn schließlich vollendet ist.
    Jetzt wird es nicht mehr lange dauern…
     

     
    Mittlerweile ist im Gravitationstrichter des Saturns eine
Reisegesellschaft im Anzug.
    Sirhans Lilienstadt schwebt in der oberen Atmosphäre des
Satunis, eingebettet in eine riesige, fast unsichtbare Kugel. Der
Ballon hat einen Durchmesser von mehreren Kilometern; die untere
Schale besteht aus von Fullerenen verstärktem Diamantglas,
darüber wölbt sich ein Gassack voll heißen
Wasserstoffs. Dieser Ballon ist eine von mehreren hundert
»Seifenblasen«, die – Multimegatonnen schwer – in
dem aufgewühlten Meer aus Wasserstoff und Helium treiben, aus
dem die obere Atmosphäre des Saturn besteht. Die Society for
Creative Terraforming, Zulieferer des Worlds Fair 2074, hat in
dieser Raumregion die Samen ausgestreut, aus denen sich letztendlich
die Städte entwickelt haben.
    Vorlage für diese eleganten Städte war der Megatext
eines »Bausatzes«. Ihre Replikation dauert recht lange
(allein die Entwicklung einer Blase erstreckt sich über mehrere
Monate), aber schon in zwei Jahrzehnten wird exponentielles Wachstum
dafür sorgen, dass die Stratosphäre mit
menschenfreundlichem Terrain gepflastert ist. Selbstverständlich
wird sich die Wachstumsrate gegen Ende verlangsamen, da es viel Zeit
in Anspruch nehmen wird, die Metallisotopen aus den
zähflüssigen Tiefen der Gasriesen herauszuholen, doch bevor
das geschieht, werden die ersten Früchte der Roboterfabriken auf
Ganymed der Mischung da unten Kohlenwasserstoff beifügen.
Irgendwann wird der ganze Planet Saturn – dessen Schwerkraft in
der oberen Sphäre menschenfreundliche elf Meter pro Sekunde im
Quadrat beträgt – über eine Biosphäre
verfügen, die fast das Hundertfache der Erdoberfläche
umfasst. Und das ist auch gut so, denn ansonsten nützt der
Saturn niemandem, mal abgesehen davon, dass er in ferner Zukunft,
wenn die Sonne ihre Kraft verliert, als Reservoir für
Fusionsbrennstoff dienen kann.
    Die Stadt, um die es hier geht, hat viele Grasflächen. Im
Zentrum der Scheibe liegt ein sanfter Hügel, der von einem
finsteren Betonbau überragt wird, dem Boston Museum of
Science. Seines Hintergrunds beraubt (denn natürlich fehlen
hier die Schnellstraßen und die Brücken über den
Charles River), wirkt der Bau seltsam nackt. Doch selbst die
unzähligen Kilotonnen unintelligenter Materie, die die
fliegenden Kräne hier abgeladen haben – sie haben auch das
Museum in die Umlaufbahn befördert –, hätten nicht
ausgereicht, auch noch die Umgebung des Museums wiederauferstehen zu
lassen. Vermutlich, denkt Sirhan, wird irgendjemand eines Tages auf
die Idee kommen, aus Utility Fog, der Zusammenballung winziger
nanotechnologischer Roboterzellen, ein billiges Diorama als
Hintergrund für das Museum zusammenzubasteln. Doch im Augenblick
steht der stolze Bau völlig

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