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Accelerando

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Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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aufgebracht hat. Sie hat Amber dazu ermutigt, bei diesen wahnsinnigen Spekulationen
mitzumachen, die zum völligen Zusammenbruch des Marktes und der
anschließenden Neuorientierung geführt und das
Ring-Imperium ruiniert haben. Und jetzt will diese
Katze…«
    »Ist sie auf dem Schiff?«, fragt Sirhan fast ein wenig
zu wissbegierig.
    »Könnte sein.« Sie starrt ihn mit
zusammengekniffenen Augen an. »Die willst du wohl auch
interviewen, wie?«
    Sirhan gibt sich keine Mühe, es abzustreiten. »Ich bin
ein Geschichtsforscher, Großmama. Und diese Sonde ist an
irgendeinem Ort gewesen, der für menschliche Sinne nie zuvor
zugänglich war. Mag ja sein, dass wir daraus keine neuen
Erkenntnisse ziehen können, und es mag auch richtig sein, dass
alte Klageschriften darauf warten, die Schiffsbesatzung endlich
dranzukriegen, aber…« Er zuckt die Achseln.
»Geschäft ist Geschäft, und mein Geschäft liegt
derzeit darin, in Ruinen herumzustochern.«
    »Ha!« Nachdem sie ihn einen Augenblick angestarrt hat,
nickt sie ganz langsam. Danach beugt sie sich vor und lässt die
verrunzelten Hände, deren Gelenke wie kleine Beutel mit
vertrockneten Walnüssen aussehen, auf dem Gehstock ruhen. Die
inneren Verstärkungen ihres Schutzanzugs knacken, als sich die
Kleidung ihrer Körperhaltung anpasst, die jetzt Vertraulichkeit
ausdrückt. »Wirst schon noch bekommen, was dir zusteht,
Junge.« Die Runzeln verzerren sich zu einem beängstigenden
Lächeln. Die ganze Bitterkeit von sechzig Jahren liegt darin
– Bitterkeit, die sie sich für den Tag aufgespart hat, an
dem sie einem ihrer Opfer so nahe kommt, dass sie ihm ins Gesicht
spucken kann. »Und auch ich werde das bekommen, was ich haben
möchte. Unter uns gesagt, wird deine Mutter gar nicht wissen,
wie ihr geschieht.«
     

     
    »Entspann dich. Unter uns gesagt, wird deine Mutter gar nicht
wissen, wie ihr geschieht«, sagt die Katze zur Königin im
großen Sessel und bleckt dabei die nadelspitzen Zähne. Die
Königin sitzt auf ihrem Thron, der aus einem einzigen
Rechnerkristall herausgeschnitten wurde, und krampft die Finger so um
die mit Saphiren besetzten Armlehnen, dass die Knöchel
weiß hervortreten. All ihre Günstlinge, Liebhaber,
Freundinnen und Freunde, Besatzungsmitglieder, Teilhaber, Blogger und
sonstigen dienstbaren Geister haben sich um sie geschart. Sogar die
Schnecke ist anwesend. »Es ist nur eine weitere Klageschrift,
damit wirst du schon fertig.«
    »Die sollen doch zur Hölle fahren, wenn sie nicht
merken, dass das Ganze nur ein Witz sein kann«, bemerkt sie
leicht gereizt. Zwar herrscht sie über diesen eng umgrenzten
Raum und hat völlige Kontrolle über das hiesige
Realitätsmodell, aber dennoch hat sie sich erlaubt, zur
würdevollen Mittzwanzigerin zu altern. In der legeren Kleidung
– sie trägt einen grauen Trainingsanzug – wirkt sie
keineswegs wie die einst mächtige Herrscherin über einen
Jupitermond. Übrigens auch nicht wie die abtrünnige
Leiterin einer interstellaren Forschungsexpedition, die Bankrott
gemacht hat. »Okay, ich glaube, ihr legt mir das besser noch
einmal vor. Es sei denn, jemand hat einen Vorschlag parat?«
    »Wenn Sie erlauben?«, meldet sich Sadeq. »In dieser
Sache fehlt uns bislang der Durchblick. Ich glaube, die haben zwei
Gesetze angeführt, auf die man sich angeblich im ganzen System
als unabdingbar geeinigt hat. Wie sie die ulama dazu gebracht
haben, diesen Gesetzen zuzustimmen, würde ich wirklich gern
wissen. Beide Gesetze betreffen die Rechte und Pflichten der Untoten.
Und als solche gelten wir offenbar. Haben die in ihrer Klageschrift
die Gesetze zufällig im genauen Wortlaut zitiert?«
    »Scheißen Bären in den Wald?«, fragt Boris
wie ein gereiztes Raubtier und klappert wütend mit den
Zähnen. »Während wir hier reden, kriecht dem Schiff
gerade ein vollständiger Abhängigkeitsgraph und ein
Syntaxbaum des Strafgesetzbuchs in den Arsch. Ertrinke ja schon im
Juristenlatein! Wenn du…«
    »Boris, hör auf damit«, schnauzt Amber ihn an. Die
Stimmung im Thronsaal ist geladen. Nach der Heimkehr von der
Expedition zum anderen Ende des Routers wusste sie nicht, was sie
erwartete, aber es war ganz gewiss kein Konkursverfahren. Sie
bezweifelt auch, dass irgendein Mitglied ihres Teams mit einer
solchen Sache gerechnet hat. Und schon gar nicht damit, dass Amber
für Schulden haftbar gemacht werden soll, die eine
abtrünnige Verkörperung von ihr aufgehäuft hat –
ihre nicht heraufgeladene Identität, die während

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