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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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und
deutet mit dem Finger auf ihn. »Du weißt verdammt gut,
dass ich nicht deine Mutter bin. Worum also geht es hier, hä?
Ebenso weißt du verdammt gut, dass ich nahezu pleite bin, also
kannst du wohl kaum auf meine leeren Taschen aus sein. Was willst du
von mir?«
    Ihre heftigen Worte verschlagen ihm die Sprache. Diese aggressive
Frau, diese Frau mit scharfen Ecken und Kanten, ist nicht seine
Mutter. Und dieser introvertierte – fromme – Geistliche,
der auf der anderen Seite steht, ist auch nicht sein Vater. »Ich
mu-mu-musste dich davon abhalten, ins innere System
vorzustoßen«, sagt er. Ehe sein Anti-Stotter-Modus
eingreifen konnte, hat sein Sprachzentrum versagt. »Da unten
würden sie dich bei lebendigem Leibe fressen. Deine andere
Hälfte hat gravierende Schulden hinterlassen, und die
Schuldscheine wurden aufgekauft, und zwar von äußerst
beutegierigen…«
    »… herumstreunenden körperschaftlichen
Instrumenten«, stellt sie durchaus gelassen fest. »Mit
Bewusstsein begabt und mit Selbststeuerung ausgestattet.«
    »Woher weißt du das?«, fragt er beunruhigt.
    Sie wirkt aufgebracht. »Weil ich schon früher mit
ähnlichen Instrumenten Bekanntschaft gemacht habe.« Ihre
aufgebrachte Miene kommt ihm sehr vertraut vor, er kennt sie
durch und durch, und das empfindet er bei dieser fast fremden Person
als unpassend. »Als wir unterwegs waren, haben wir einige
verrückte Orte besucht.« Sie sieht an ihm vorbei,
konzentriert sich auf jemand anderen und holt scharf Luft,
während ihr Gesicht jeden Ausdruck verliert. »Erzähl
mir schnell, was du vorhast. Ehe Mom hier auftaucht.«
    »Ich will archivieren, was Menschen im Kopf haben, und die
Geschichte aufheben – im doppelten Sinn. Schaff dir ein Backup,
wähl dir unterschiedliche Lebensläufe, finde heraus,
welcher funktioniert und welcher nicht. Erspar dir das Versagen,
drück einfach auf Reload und fang von vorne an. Das alles
und ein langfristig angelegtes Geschichtsprojekt für den
Zukunftsmarkt. Dazu brauche ich unbedingt deine
Unterstützung«, sprudelt er hervor. »Ohne Familie
funktioniert das nicht. Außerdem versuche ich Großmutter
davon abzuhalten, Selbstmord zu begehen…«
    »Familie.« Sie nickt vorsichtig. Jetzt nimmt Sirhan auch
Notiz von ihrem Gefährten, diesem Pierre. Das ist nicht dieses
schwache Glied in der Kette, das zerbrach, ehe Sirhan geboren wurde,
sondern ein hart blickender Kundschafter, gerade erst aus der Wildnis
zurückgekehrt, der ihn abschätzend mustert.
    Sirhan hat ein oder zwei Tricks im Ärmel seines Exocortex,
deshalb kann er die Schatten von Agenten in Pierres Umfeld erkennen;
dessen Technik, Informationen auszugraben, ist zwar grob und
technisch überholt, aber er ist mit Leidenschaft bei der Sache
und hat ein gewisses Flair.
    »Familie«, wiederholt Amber, und es klingt wie ein
Fluch. Lauter: »Hallo, Mom. Hätte eigentlich erraten
müssen, dass er dich auch hierher eingeladen hat.«
    »Dann rate gleich noch mal.« Sirhan lässt den Blick
zwischen Pamela und Amber hin und her schweifen. Plötzlich
fühlt er sich wie eine Ratte zwischen zwei wütenden Kobras.
Pamela, auf ihren Stock gestützt, hat diskret Kosmetik
aufgetragen und ihre medizinischen Hilfsmittel unter einem
altmodischen Kleid versteckt. Sie könnte eine Mittsechzigerin
früherer Zeiten sein, die sich schlecht gehalten hat. Im
Gegensatz zu ihrem derzeitigen körperlichen Gesamtzustand wirkt
sie nicht gerade wie eine Selbstmordkandidatin, die gespenstisch
langsam auf den Tod zusteuert. Höflich lächelt sie Amber
zu. »Vielleicht weißt du noch, was ich dir mal gesagt
habe: Niemals fügt eine Dame einem anderen Menschen
unabsichtlich Beleidigungen zu. Ich wollte Sirhan nicht dadurch
beleidigen, entgegen seiner Wünsche hier aufzutauchen, deshalb
habe ich ihm erst gar keine Chance gegeben, mir den Besuch zu
verwehren.«
    »Und dann rechnest du damit, dass man dir vor Freude in den
Arsch kriecht?«, fragt Amber gedehnt. »Hätte dich
für schlauer gehalten.«
    »Meine Güte, du…« Das Feuer in Pamelas Augen
erlischt plötzlich, weicht dem kalten Druck einer
Selbstbeherrschung, die erst das Alter mit sich bringt. »Ich
hatte gehofft, es würde deiner Wesensart, wenn nicht sogar
deinen Manieren gut tun, wenn du dich zeitweilig von allem hier
lösen könntest, aber das ist offensichtlich nicht der
Fall.« Pamela deutet mit ihrem Stock energisch auf den Tisch.
»Lass es mich wiederholen: Das hier hat sich dein Sohn ausgedacht. Warum isst du nicht

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