Accelerando
etwas?«
»Erst muss der Vorschmecker das auf Gift testen.« Amber
lächelt hinterhältig.
»Verdammte Scheiße noch mal!«, meldet sich Pierre
erstmals zu Wort. Es mag zwar unfein klingen, aber wenigstens sorgt
es für eine gründliche Entspannung der Situation. Er tritt
vor, greift nach einem Teller mit Crackern, die mit Lachskaviar
belegt sind, und steckt sich einen davon in den Mund.
»Könnt ihr nicht damit warten, euch gegenseitig die Messer
in den Rücken zu rammen, bis wir Übrigen was im Magen
haben? Ist ja nicht so, dass ich das biophysikalische Modell hier
drinnen auf Durchzug stellen könnte.« Er schiebt Sirhan den
Teller zu. »Bedien dich, alles deins.« Der Bann ist
gebrochen.
»Danke«, sagt Sirhan würdevoll und greift nach
einem Cracker. Die Situation entspannt sich merklich, als Amber und
ihre Mutter endlich mit den Versuchen aufhören, sich gegenseitig
Wortgefechte zu liefern, und sich stattdessen auf das
Nächstliegende konzentrieren. Und das besteht darin, erst zu
essen und danach zu streiten, und nicht umgekehrt –
schließlich ist es bei allen gesellschaftlichen Veranstaltungen
so üblich.
»Vielleicht schmeckt dir auch die Eiermayonnaise«,
hört Sirhan sich selbst sagen. »Man muss schon lange
ausholen, um zu erklären, warum die Dodos seinerzeit
überhaupt ausgestorben sind.«
»Dodos.« Amber behält ihre Mutter argwöhnisch
im Auge, während sie von einer lautlos dahingleitenden
fraktalähnlichen Bedienung mit silbernem Roboterkörper
einen Teller entgegennimmt.
»Und was ist mit diesem Projekt, in welches die Familie
investieren soll?«
»Nur, dass deine Familie wahrscheinlich vor die Hunde geht,
falls du nicht mitmachst«, fährt Ambers Mutter dazwischen,
ehe Sirhan etwas erwidern kann. »Nicht, dass ich von dir
erwarten würde, dich irgendwie darum zu scheren.«
Boris mischt sich ein. »In den inneren Welten wimmelt es von
körperschaftlichen Instrumenten. Schlechtes Geschäft
für uns, gutes Geschäft für sie. Wenn Sie sehen
würden, was wir gesehen haben…«
»Kann mich gar nicht daran erinnern, dass du dort
gewesen wärest«, bemerkt Pierre mürrisch.
»Jedenfalls«, glättet Sirhan die Wogen, »ist
das Zentrum des Sonnensystems keine gesunde Umgebung mehr für
uns, die wir früher fleischliche Körper hatten. Es sind
immer noch jede Menge Leute dort, aber diejenigen, die sich in
Erwartung eines Wirtschaftsbooms heraufgeladen haben, wurden auf
traurige Weise enttäuscht. Neuheiten stehen dort hoch im Kurs,
und die neuronale Architektur des Menschen ist dafür nicht
optimiert – unserer Anlage nach sind wir eine konservative
Spezies, weil das in einem statischen Wirtschaftssystem bei
gesunkenen Investitionskosten für die Wiedererzeugung immer noch
für die beste Rendite sorgt. Ja, auch wir ändern uns im
Lauf der Zeit – schließlich sind wir flexibler als fast
alle anderen Tierarten, die je auf der Erde aufgetaucht sind –,
aber im Vergleich zu den Organismen, die sich dem Leben im
Wirtschaftssystem 2.0 angepasst haben, sind wir wie Statuen aus
Granit.«
»Das kannst du laut sagen, Junge«, flötet Pamela
fast spöttisch. »Zu meiner Zeit waren da noch Saft und
Kraft.« Amber wirft ihr einen kühlen Blick zu.
»Wo war ich stehen geblieben?« Als Sirhan mit den
Fingern schnippt, taucht ein Glas Schampus in seiner Hand auf.
»Die Unternehmer, die sich frühzeitig heraufluden, haben
sich wiederholt in verschiedene Versionen gespalten. Dabei haben sie
entdeckt, dass sie auf direktem Weg genauso viel
Datenverarbeitungskapazität in Anspruch nehmen konnten, wie es
der Masse verfügbaren Computroniums entsprach. In rechnerischer
Hinsicht triviale Aufgaben waren also leicht zu bewältigen.
Außerdem konnten sie schneller oder auch langsamer als in
Echtzeit agieren. Aber sie waren immer noch Menschen und nicht
in der Lage, wirksam jenseits des beschränkten Bereichs zu
operieren, der den Menschen eigen ist. Nimm ein menschliches Wesen
und lass es auf Extensionen los, mittels derer es die Vorteile des
Wirtschaftssystems 2.0 voll nutzen kann, und du wirst die zugrunde
liegende narrative Kette seines Bewusstseins brechen und sie durch
ein Journal der Angebot/Nachfrage-Transaktionen verschiedener Agenten
ersetzen. Das ist zwar unglaublich effizient und flexibel, hat aber
nichts mehr mit einem mit Bewusstsein begabten menschlichen Wesen zu
tun, jedenfalls nicht in dem uns bekannten Wortsinn.«
»Ganz richtig«, sagt Pierre langsam. »Ich glaube,
so etwas haben wir selbst schon
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