Accelerando
auszuwischen? Begreifst du denn
nicht, wo die Neigung unserer Familie zu trickreichen Spielchen ihren
Ursprung hat, verdammt noch mal?«
»Du kommst zu spät«, dringt die unheimliche Stimme
der Tauben von oben herunter und hallt ringsum wider. »Sie hat
die Katze entführt und dazu die Raumkapsel aus dem Museum
benutzt. Die ist zwar nicht flugtauglich, aber du würdest dich
wundern, was man mit ein paar hundert Agenten und ein paar Tonnen
Utility Fog alles anstellen kann.«
»Okay.« Die Fäuste in die Hüften gestemmt,
starrt Amber zu den Tauben empor und richtet den Blick danach auf
Sirhan. Einen Moment lang kaut sie auf der Unterlippe herum, dann
nickt sie dem Vogel zu, der auf dem Saurierschädel thront.
»Hör auf, dem Jungen den Kopf zu verwirren, und zeig dich,
Dad.«
Sirhan sieht erschrocken nach oben, als eine ganze Schar von
Wandertauben sich mitten in der Luft vereint, auf das Gras zufliegt
und dabei so gurrt und tiriliert, als explodiere eine ganze
Synthesizerfabrik.
»Was hat sie mit der Schnecke vor?«, fragt Amber die
Vogelschar. »Und ist es nicht ein bisschen eng da
drinnen?«
»Man gewöhnt sich daran«, sagt die
ursprüngliche – inzwischen auf viele Vogelkörper
verteilte – Kopie ihres Vaters. »Ich weiß nicht
genau, was sie vorhat, aber ich kann dir zeigen, was sie gerade
macht. Das mit deiner Stadt tut mir Leid, Junge, aber du hättest
wirklich mehr auf die Sicherheitsvorkehrungen achten sollen. Unter
dem glänzenden Mantel eurer neuen Singularität wimmelt es
von schäbiger Bugware aus dem zwanzigsten Jahrhundert, von
Designfehlern und Ähnlichem, und all das leert seine
Scheißhaufen über deiner eleganten neuen Maschinerie
aus.«
Sirhan schüttelt den Kopf. »Ich kann’s nicht
fassen«, seufzt er leise.
»Zeig mir, was Mom vorhat«, fordert Amber ihren Vater
auf. »Ich muss sehen, ob ich sie davon abhalten kann, ehe es zu
spät ist…«
Die alte Frau im Raumanzug lehnt sich in dem engen Sitz
zurück, blickt in die Kamera und zwinkert. »Hallo,
Liebling, ich weiß, dass du mir nachspionierst.« In ihrem
von Nomexfasern und Aluminium verstärkten Schoß hat sich
eine weiß-orangefarbene Katze zusammengerollt, die sich
durchaus wohl zu fühlen scheint, jedenfalls ist ihr lautes
Schnurren zu hören, auch wenn der Reflex nur schwach
übertragen wird. Hilflos sieht Amber zu, wie ihre Mutter mit den
arthritischen Fingern nach oben langt und einige Schalter umlegt.
Irgendetwas im Hintergrund summt laut, wahrscheinlich eine
Belüftungsanlage. In der Mercury-Kapsel gibt es kein Fenster,
nur einen Beobachtungsspiegel neben Pamelas rechtem Knie.
»Dauert jetzt nicht mehr lange«, murmelt Pamela und
lässt die Hand zurück auf die Seite sinken. »Du kommst
zu spät, du kannst mich nicht mehr davon abhalten«, setzt
sie in lockerem Ton nach. »Die Fallschirmtakelage ist in
Ordnung, und das Ballongebläse ist gern bereit, mich wie einen
neuen Ableger der Stadt zu behandeln. In etwa einer Minute bin ich
hier raus.«
»Warum tust du das?«, fragt Amber müde.
»Weil du mich in deiner Nähe nicht brauchen
kannst.« Pamela konzentriert sich auf die Kamera, die am
Armaturenbrett vor ihrem Kopf klebt. »Ich bin alt. Find dich
damit ab, dass ich zu nichts mehr nütze bin. Das Alte muss dem
Neuen weichen und so weiter und so fort. Dein Vater hat das nie
richtig begriffen. Er wird in Unwürde alt werden und in dem
Bit-Friedhof der großen Ewigkeit aufgehen, im Unterschied zu
mir. Ich verabschiede mich mit einem Knalleffekt. Nicht wahr, Katze?
Wer immer du in Wirklichkeit sein magst.« Als sie das Tier
anstupst, schnurrt es und streckt sich auf ihrem Schoß aus.
»Du hast dir Aineko nie genau genug bei Tageslicht
angesehen.« Sie streichelt der Katze die Flanken. »Dachtest
du, ich wüsste nicht, dass du ihren Quellcode geprüft und
nach Fallen gesucht hast? Ich habe die trojanische Methode des Thompson Hack benutzt. In Wirklichkeit gehört die Katze
schon sehr lange mit Leib und Seele mir. Die ganze Geschichte
über euren Mitfahrer habe ich aus erster Hand erfahren. Und
jetzt werden wir diese Geldeintreiber erledigen. Los
geht’s!«
Als das Bild heftig zu wackeln beginnt, spürt Amber, wie ein
altes Gespenst wieder bei ihr auftaucht und angesichts des drohenden
Verlustes panisch reagiert. Die Mercury-Kapsel ist verschwunden, sie
treibt unterhalb einer fast transparenten Hülle aus heißem
Wasserstoff vom Scheitelpunkt des Habitats weg.
»Das war ein bisschen ungestüm«, bemerkt
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