Accelerando
bestens zu ihrem Kostüm im
klassischen New Look passen. »Hab schon davon
gehört, aber Damen der Modebranche wie ich selbst befassen sich
nicht mit Politik«, erwidert sie leicht entschuldigend.
»Schon gar nicht mit den politischen Ansichten ihrer Kunden.
Ihre, äh, Tante sagte, es handle sich um das Image?«
»Ja.« Amber, die wegen ihrer billigen Freizeitklamotten
ein bisschen verlegen ist, zuckt die Achseln. »Sie leitet meinen
Wahlkampf. Wie sie schon erwähnt hat, besteht mein Problem
darin, dass gewisse Wählergruppen Image und Inhalt miteinander
verwechseln. Und diese Leute haben Angst vor dem Unbekannten. Also
muss ich mir eine Garderobe zulegen, die Redlichkeit, Achtbarkeit und
behutsames Vorgehen suggeriert. Eine Garderobe, die zur Vertreterin
eines radikalen politischen Programms passt. Und gleichzeitig zu
einer Frau, die auf eine eindrucksvolle Leistungsbilanz verweisen
kann. Leider hab ich’s auch noch sehr eilig – heute Abend
findet eine große Wahlkampfparty statt, bei der wir Spenden
locker machen möchten. Ich weiß, dass ich Sie damit ein
wenig überfalle, aber ich brauche dafür etwas zum Anziehen,
und wenn es aus Ihren Lagerbeständen ist.«
»Was genau möchten Sie erreichen?«, fragt der
einzige männliche Angestellte mit heiserer Stimme. Die gerollten
Rs deuten darauf hin, dass er ursprünglich aus dem
Mittelmeerraum stammt, auch wenn er den Akzent halbwegs abgelegt hat.
Es klingt so, als sei er wirklich interessiert. »Ich meine,
falls Sie der Meinung sind, es könnte die Wahl Ihrer
Garderobe irgendwie beeinflussen…«
»Ich kandidiere für das Abgeordnetenhaus«, erwidert
Amber frei heraus. »Mit einem Wahlprogramm, das die
Erklärung des Notstands verlangt und sich dafür einsetzt,
alle Anstrengungen unverzüglich auf den Bau eines Sternenschiffs
zu richten. Dieses Sonnensystem wird nicht mehr lange bewohnbar sein,
also müssen wir emigrieren. Wir alle, Sie eingeschlossen. Und
zwar ehe der missratene Nachwuchs beschließt, uns zu
Computronium zu verarbeiten. Ich werde die gesamte Wählerschaft
parallel abklappern, in verschiedenen Verkörperungen, muss dabei
aber eindeutig als ein- und dieselbe Person kenntlich sein.« Sie
ringt sich zu einem Lächeln durch. »Also brauche ich
schätzungsweise acht komplette Ausstattungen und jeweils vier
unabhängige Variable – Accessoires –, darüber
hinaus zwei oder drei Hüte. Jedenfalls so viele Kombinationen,
dass ich meine Garderobe bei jedem Auftritt vor einigen tausend
Wählern variieren kann. Und die Kombinationen brauche ich sowohl
in echtem Stoff als auch in virtueller Form. Außerdem
würde ich mir auch gern ansehen, was Sie an historischer
Abendkleidung dahaben, doch das kann noch warten.« Sie grinst.
»Sind Sie so ausgestattet, dass wir ausprobieren können,
wie die jeweiligen Kombinationen wirken? Wie sie auf unterschiedliche
Persönlichkeitstypen aus unterschiedlichen Epochen wirken? Es
wäre sehr hilfreich, wenn wir einige Modelle durchspielen
könnten.«
»Ich glaube, wir können noch viel mehr tun.« Die
Chefin des Hauses nickt beifällig, vielleicht auch deshalb, weil
sie an die Vergoldung ihres Bankkontos denkt. »Hansel, bitte
vertrösten Sie alle weiteren Besucher, bis wir uns um
Madame…«
»Macx. Amber Macx.«
»… um Madame Macx und ihre Wünsche gekümmert
haben.« Offenbar hört sie den Namen zum ersten Mal. Amber
zuckt leicht zusammen. Denn es zeigt, wie zersplittert die Kinder des
Saturns mittlerweile leben und wie stark die Bevölkerung des
Strahlenkranzes angewachsen ist. Nur eine Generation liegt
dazwischen, aber jetzt schon erinnert sich kaum noch jemand an die
Königin des Ring-Imperiums. »Wenn Sie bitte hierher kommen
würden, dann können wir anhand der statistischen Analysen
eine Kombination verschiedener Standardstile vornehmen, die bis ins
letzte Detail auf Ihre Anforderungen zugeschnitten
ist…«
Abgeschirmt vor allen anderen Menschen, spaziert Sirhan durch die
Menge, die sich hier zum Festival versammelt hat. Die Einzigen, die
ihn wahrnehmen, sind die geschwätzigen Geister toter Politiker
und Schriftsteller, auf Anweisung des missratenen Nachwuchses aus dem inneren System hierher abgeschoben. Das grüne
Flachland, ein angenehmer Anblick, erstreckt sich unter einem
zitronengelben Himmel tausend Kilometer bis zum Horizont. Die Luft
riecht leicht nach Ammoniak. Im weiten Raum wimmelt es von
kleinkarierten Vorstellungen, aber Sirhan achtet nicht darauf. Denn
im Augenblick ist er
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