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Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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lassen –, wird es vermutlich irgendein
raffinierter Angriff sein, der unmittelbar auf die Grundlagen unserer
Identität abzielt. Wonach wir Ausschau ’alten müssen,
sind ’öhenflüge und anschließende Crashs auf dem
Börsenmarkt, sind plötzliche Abwertungen von Trust Metrics
im Netz, zum Beispiel deswegen, weil sich die Menschen mit
irgendeiner bizarren Religion infiziert ’aben, irgendetwas
dieser Art. Vielleicht ist es auch ein manipulierter Wahlausgang. Und
es wird nicht von jetzt auf nach’er geschehn. Die sind nicht so
blöde, ’als über Kopf einen Angriff zu starten. Erst
einmal werden sie auf sanfte Weise den Weg dafür bereiten, nach
und nach, durch zersetzende Maßnahmen.«
    »Offensichtlich denkst du schon länger darüber
nach«, bemerkt Sameena trocken und mit Nachdruck. »Was
springt denn für euren Freund, äh, Blue dabei
heraus? Habt ihr genügend Guthaben aus der riesigen
Spekulationsblase des Wirtschaftssystems 2.0 abgezweigt, um die
Kosten für das Anmieten eines Sternenschiffs zu tragen? Oder
gibt es da etwas, das ihr uns vorenthaltet?«
    »Hm.« Manfred sieht wie ein kleiner Junge aus, der mit
der Hand in der Bonbondose erwischt worden ist. »Nun ja,
eigentlich…«
    »Ja, Dad, warum sagst du uns nicht einfach, was das kosten
wird?«, fragt Amber.
    »Also gut.« Er wirkt verlegen. »Es geht nicht um
Aineko, sondern um die Hummer. Sie wollen irgendeine Bezahlung
dafür.«
    Als Rita nach Sirhans Hand greift, wehrt er sich nicht dagegen. »Weißt du darüber Bescheid?«, fragt sie
ihn.
    »Ist mir alles völlig neu…« Ein
desorientierter Agent nimmt denselben Weg wie Sirhans Antwort.
Für kurze Zeit taucht Rita gemeinsam mit Sirhan in
Tagträume ab. Beide versuchen sich vor Augen zu halten, was ihr
Wissen um die Chance einer gemeinsamen Beziehung eigentlich
impliziert.
    »Sie wollen eine aufgeschlüsselte, schriftlich
dokumentierte Karte. Eine Karte aller zugänglichen
Mem-Räume längs des Router-Netzwerks, kompiliert von
menschlichen Forschungsreisenden, die sie als Basis für weitere
Aktivitäten nutzen können, wie sie sagen. Es ist recht
einfach: Als Gegenleistung für unsere Fahrkarte nach
draußen werden sich einige von uns als Forscher betätigen
müssen. Was nicht heißt, dass wir keine Backups
zurücklassen könnten.«
    »Haben die Hummer bestimmte Leute für die Forschung
vorgesehen?« Amber rümpft die Nase.
    »Nein«, erwidert Manfred. »Nur eine Gruppe von uns,
die das Netzwerk des Routers kartiert und sicherstellt, dass die
Hummer rechtzeitig vor äußeren Bedrohungen gewarnt
sind.« Er schweigt kurz. »Du willst doch sicher mitkommen,
nicht?«
     

     
    Der Wahlkampf dauert etwa drei Minuten und verbraucht mehr
Bandbreite als alle terrestrischen Kommunikationskanäle von der
Frühgeschichte bis 2008 zusammengenommen. Rund sechs Millionen
Verkörperungen von Amber, bis ins Detail auf die jeweilige
Zielgruppe abgestimmt, verbreiten sich über die in allen
Lilien-Habitaten verlegten Lichtwellenleiter, die über keine
Infrastruktur verfügen, und danach über die
Ultrabreitband-Netze, bis sie in den Implantaten und herumschwebenden
Nanostäubchen schließlich Gestalt annehmen und auf die
Wähler einreden. Viele dieser Verkörperungen erreichen ihre
Zielgruppe gar nicht. Und noch größer ist die Zahl
derjenigen, die fruchtlose Diskussionen führt. Fünf, sechs
Ambers kommen sogar zu dem Schluss, dass sie sich weit genug von
ihrem Original gelöst haben, um als eigenständige Menschen
zu gelten, und beantragen, als unabhängige Bürger
registriert zu werden. Zwei Ambers laufen zur Gegenseite über,
und eine brennt mit einem Schwarm höchst einfühlsamer
modifizierter afrikanischer Honigbienen durch.
    Ambers Verkörperungen sind nicht die Einzigen, die beim Zeitgeist um Beachtung buhlen. (* Zeitgeist: deutsch im
Original; Anm. d. Ü.) Eigentlich sind sie sogar in der
Minderheit. Die meisten unabhängigen Kandidaten ziehen für
völlig unterschiedliche Wahlprogramme ins Feld. Das Spektrum
reicht von der Forderung, eine progressive Einkommensteuer
einzuführen (niemand weiß genau, warum, aber eine
solche Steuer scheint früher üblich gewesen zu sein), bis
zu dem Vorschlag, den ganzen Planeten zu bepflastern. Letzteres geht
ziemlich an der gegebenen Situation vorbei – schließlich
besteht die obere Atmosphäre eines metallarmen Gasriesen aus
einer Fülle von Elementen –, ganz zu schweigen davon, dass
das Wetter dann verrückt spielen würde. Die Gesichtslosen setzen sich

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