Accelerando

bröckelt und enthüllt
eiskalte innere Wut. »Du kommst sofort mit mir nach Hause!«
Er sieht die Katze an. »Und das gilt auch für dich, falls
du mit ihm reden willst – er hat Hausarrest.«
     

     
Es war einmal eine verhätschelte Hauskatze.
    Nur war sie gar keine Katze.
    Als vor vielen Jahren ein junger Unternehmer namens Manfred
Macx durch die noch nicht demontierten Gebilde eines alten
Kontinents namens Europa jettete, Fremden zu Reichtum verhalf und
Freunden viel versprechende Geschäftsideen zur Verfügung stellte – eine verzweifelte
Übersprunghandlung, denn das Ankurbeln solcher Projekte war
im Grunde nur der vergebliche Versuch, dem eigenen Schatten
davonzulaufen –, reiste er fast immer in Begleitung eines
Spielzeugroboters in Katzengestalt. Als programmierbares
Spielzeug, das man jederzeit aufrüsten konnte, gehörte
Aineko zur dritten Generation der in Japan erfundenen
Luxusroboter, die Kindern als Gefährten dienen sollten.
    In Manfreds Leben war nur Platz für diesen Roboter, den er
liebte. Auch die bestürzende Tatsache, dass an seiner
Türschwelle immer wieder Kätzchen auftauchten, denen man
das Gehirn entnommen hatte, änderte nichts daran. Er liebte
die Roboterkatze fast so sehr, wie seine Verlobte Pamela ihn
liebte, und das wusste sie auch. Da Pamela sehr viel schlauer war,
als es Manfred ihr jemals zugetraut hätte, war ihr klar, dass
der schnellste Weg zum Herzen eines Mannes über das
führt, was er liebt, was es auch sein mag. Und da sie auch
viel mehr von einem Kontrollfreak an sich hatte, als Manfred
wusste, hatte sie keinerlei Skrupel, diese andere Liebe Manfreds
mit jedem Mittel, das gerade zur Hand war, in ihre Schranken zu
verweisen.
    Ihre Beziehung war typisch für das einundzwanzigste
Jahrhundert. Soll heißen: Es war eine Beziehung, die hundert
Jahre früher noch verboten und vor weiteren hundert Jahren so
skandalös gewesen wäre, wie es der damaligen Mode
entsprach. Jedes Mal, wenn Manfred seinem geliebten
Roboterhaustier ein Upgrade verpasste (dazu transplantierte er
dessen lernfähiges neuronales Netzwerk in einen neuen
Körper, der über interessante neue Erweiterungsports
verfügte), betätigte Pamela sich als Hacker und griff in
dessen Funktionen ein.
    Pamela und Manfred waren eine Weile verheiratet und sehr viel
länger geschieden, vorgeblich deshalb, weil sie, beide
willensstarke Menschen, unterschiedlichen Lebensphilosophien
anhingen, die in Fragen des Todes und der Transzendenz nicht
miteinander vereinbar waren. Der überaus kreative,
extrovertierte Manny, mit einer Konzentrationsspanne wie ein
Wiesel auf Crack, hatte andere Geliebte. Pamela… Wer
weiß? Falls sie sich an manchen Abenden verkleidete und an
Treffpunkten in Fetisch-Clubs herumhing, erzählte sie es
jedenfalls nicht herum. Schließlich lebte sie im verklemmten
Amerika der Seriosität und Sittenstrenge und musste ihren
guten Ruf wahren.
    Beide hielten Verbindung mit der Katze. Zwar wurde sie bei der
Scheidung Manfred zugesprochen, doch aus irgendeinem nie
enthüllten Grund entschied sich Aineko dafür, Pamelas
Anrufe weiterhin zu beantworten. Bis es für die Katze an der
Zeit war, sich Manfreds und Pamelas Tochter Amber
anzuschließen und sie auf ihrer hastigen Flucht ins
relativistische Exil zu begleiten. In der ihr eigenen, Besitz
ergreifenden Art hielt sie später ein wachsames Auge auf
Ambers Eigensohn Sirhan und dessen Frau und Kind (Manfred 2.0, ein
dem alten Familienstamm entsprossener Klon)…
    Nur hatte die Sache einen gewaltigen Haken: Aineko war gar
keine Katze, sondern eine Intelligenz in Tiergestalt, eingesperrt
in einander ablösende katzenähnliche Körper, die im
Lauf der Zeit immer echter wirkten. Eine Intelligenz, die
über genügend Datenverarbeitungskapazität
verfügte, um neuronale Simulationen erzeugen zu können.
Und mit jedem Upgrade wuchs diese Kapazität rapide.
    Dachte irgendein Mitglied der Familie Macx jemals daran, Aineko
nach ihren Wünschen und Absichten zu fragen?
    Und wenn eine Antwort gekommen wäre, hätte sie der
Familie gefallen?
     

     
    Nachdem der erwachsene Manfred zwei Jahrhunderte nach seiner
hastigen Flucht vom Saturn plötzlich wieder zum Leben erwacht
ist und in einem neuen Körper steckt, hat er alle Mühe,
sich zurechtzufinden. Innerlich zögernd ist er gerade dabei,
Sirhans und Ritas Wohnung anzusteuern, da drängt sich der
große Manni, ausgerüstet mit einem Agenten, der über
Manfreds