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Accelerando

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Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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oder
sogar mehrere? – unterzogen hat.
    »Die Katze hat mit uns gespielt, Manni, vielleicht
schon, ehe wir gemerkt haben, dass sie ein Bewusstsein hat.«
    »Raus hier…« Manfred hält inne. Er kann
wieder sehen, sich bewegen, seinen Mund spüren. Er ist wieder er selbst, körperlich wieder so, wie er vor all diesen
Jahrzehnten als Endzwanziger war, als er im Europa vor der
Singularität ein Wanderleben führte. Er sitzt auf dem Rande
eines Bettes. Und dieses Bett befindet sich in einem bezaubernden
Amsterdamer Themenhotel, dessen Leitmotiv Philosophen sind. Er
trägt Jeans, ein kragenloses Hemd und eine Weste mit vielen
Taschen, die mit den Überresten eines längst
überholten persönlichen Ortsnetzwerks voll gestopft sind.
Seine verrückte klobige Projektionsbrille liegt auf dem
Nachttisch. Pamela steht steif in der Tür und beobachtet ihn.
Sie ist nicht die verwelkte Karikatur ihrer selbst, die er, wie er
sich erinnert, auf Saturn gesehen hat, nicht die halbblinde
Schicksalsgöttin, die sich auf die Schulter seines Enkels
stützt. Und sie ist auch nicht die rachsüchtige Furie der
Pariser Zeit oder der Ränke schmiedende fundamentalistische
Satan aus dem amerikanischen Bibelgürtel. Über einem
rotgoldenen Brokatkorsett trägt sie ein raffiniert geschnittenes
Kostüm, die blonden Haare sind wie feiner Draht zu einem
straffen Chignon hochgesteckt. Sie ist die gebündelte,
zielbewusste Naturgewalt, in die er sich anfangs verliebt hat. Sie
verkörpert Unterdrückung, Dominanz, ist die Domina, die ihn
in seine Schranken verweist.
    »Wir sind tot«, sagt sie und lässt ein angespanntes
halbes Lachen ertönen. »Wir müssen die schlimmen
Zeiten nicht noch einmal durchleben, wenn wir nicht wollen.«
    »Was ist das hier?«, fragt er mit trockenem Mund.
    »Es ist der Imperativ zur Reproduktion.« Sie rümpft
die Nase. »Komm schon, steh auf. Komm hierher.«
    Gehorsam steht er auf, macht aber keinen Schritt auf sie zu.
»Wessen Imperativ?«
    »Nicht unserer.« Ihre Wange zuckt. »Wenn man tot
ist, findet man gewisse Dinge heraus. Diese verdammte Katze wird
viele Fragen beantworten müssen.«
    »Willst du etwa behaupten, dass…«
    Sie zuckt die Achseln. »Fällt dir irgendeine andere
Erklärung für das Ganze ein?« Sie tritt vor und nimmt
seine Hand. »Zergliederung und Rekombination. Aufteilung
memetischer Replikatoren in verschiedene Gruppen, danach eine
sorgfältig vorgenommene kreuzweise Befruchtung. Aineko hat nicht
nur einen besseren Macx heranzüchten wollen, als sie für
all diese seltsamen Ehen und Scheidungen, Eigeneltern und Uploads mit
sich spaltenden Zustandsvektoren gesorgt hat. Aineko versucht, bei
uns einen bestimmten Verstand heranzuzüchten.« Er
spürt ihre schlanken, kühlen Finger in seiner Hand.
    Plötzlich fühlt er sich so angeekelt, als käme sie
aus dem Grab. Ihm läuft ein Schauer über den Rücken,
doch dann merkt er, dass sich hier lediglich seine Konditionierung
bemerkbar macht. Brutal implantierte Reflexe, die nach all dieser
Zeit eigentlich nicht mehr wirksam sein sollten. »Selbst unsere
Scheidung. Wenn…«
    »Bestimmt nicht.« So weit kann sich Manny schon wieder
erinnern. »Aineko hatte damals noch nicht einmal
Bewusstsein!«
    Pamela zieht eine ihrer raffiniert gezupften Augenbrauen hoch.
»Bist du sicher?«
    »Du suchst nach einer Erklärung.«
    Sie holt tief Luft. Als er den Luftzug an seiner Wange spürt,
stellen sich ihm die Nackenhärchen auf. Gleich darauf nickt sie
steif. »Ich möchte wissen, wie viel von unserer Geschichte
nach dem Drehbuch der Katze verlaufen ist. Damals, als wir dachten,
wir würden ihrer Firmware ein Upgrade verpassen, haben wir das
auch tatsächlich getan? Oder hat sie uns das nur
suggeriert?« Scharf zischend holt sie Luft. »Und die
Scheidung. Waren wir das? Oder hat man uns manipuliert? Unsere
Erinnerungen – sind sie echt? Ist uns irgendetwas davon tatsächlich zugestoßen? Oder…«
    Sie steht rund zwanzig Zentimeter von ihm entfernt. Manfred merkt,
dass er sich ihrer Gegenwart sehr genau bewusst ist und alles
wahrnimmt: den Geruch ihrer Haut, das Heben ihrer Brust beim
Atemholen, die sich weitenden Pupillen. Endlos lange starrt er ihr in
die Augen und sieht, wie seine eigene Reflexion – ihre Theory
of Mind, das, was sie von ihm erfasst hat – daraus
zurückstarrt. Kommunikation. Die Domina, die ihn in seine
Schranken verweist. Als sie einen Schritt zurücktritt, klappern
ihre spitzen Absätze. Sie lächelt ironisch. »Auf dich
wartet ein

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