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Accelerando

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Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
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Integrität der Biosphäre bedrohen
könnten.
    »Das wird ein schöner Spaß.« Mannis Augen
leuchten auf, als Vipul die Türen des Waffenarsenals
aufreißt und Schlagstöcke, Hämmer, Spieße,
Wurfspeere und Garotten austeilt. »Los geht’s!«
    Nach zehnminütigem Stechen, Rennen, Kämpfen und
Brüllen lehnt Manni an einem Kreuzigungspfahl und schnappt
keuchend nach Luft. Bislang ist die Schlacht gut für ihn
verlaufen, sein Arm schmerzt und juckt vom Stechen, aber er hat das
böse Gefühl, dass sich das Kriegsglück bald wenden
wird.
    Lis hat sich so schwer ins Zeug gelegt, dass ihre Ketten sich an
den Stützen des Galgens verheddert haben, und jetzt rösten
die Feinde sie über einem Feuer. Ihre elektronisch
verstärkten Schreie übertönen sein eigenes heiseres
Keuchen. Von der Spitze seiner Scherenhand spritzt Blut – nicht
sein eigenes –, das an seinem Arm heruntertropft. Er spürt
eine so wahnsinnige Gier, jemanden zu verletzen, einen so grausamen
Drang, anderen Schmerzen zuzufügen, dass er zittert. Etwas
über seinem Kopf quietscht, er blickt auf. Es ist ein
gekreuzigter Engel, dessen Flügel an der Stelle zerfetzt sind,
wo die Kinder ihre Spieße hineingerammt haben. Sie haben die
Verstrebungen der großen dünnen Flügelmembranen
zerstört, die den Engeln das Fliegen in geringer Schwerkraft
ermöglichen. Der Engel atmet noch. Niemand hat sich bisher darum
gekümmert, ihn auszuweiden. Und wäre es nicht ein böser Engel, wäre er ja auch gar nicht hier,
also…
    Manni steht auf, aber als er die Scherenhand ausstreckt, um den
dünnen blauhäutigen Bauch des Engels zu berühren,
hört er eine Stimme: »Warte.« Es ist
Innensprache im Befehlston, die den Vorzugsstatus des Nutzers im Netz
der Stadt verrät und sein Ellbogengelenk mitten in der Bewegung
erstarren lässt. Er wimmert frustriert und dreht sich um, bereit
zu kämpfen.
    Es ist die Katze. Zusammengekauert sitzt sie auf einem
Geröllblock in seinem Rücken (was wirklich seltsam ist,
denn gerade noch hat er dort hingeblickt) und beobachtet ihn aus
Schlitzaugen. Manni würde ihr gern eins überziehen, aber
seine Arme wollen sich nicht bewegen, genauso wenig wie seine Beine.
Dies mag die dunkle Seite des Roten Platzes sein, wo die
blutrünstigen Kinder spielen und alles erlaubt ist; Manni mag
auch eine so große Scherenhand haben, dass die Katze ihm
hoffnungslos unterlegen wäre, aber die Stadt hat immer noch eine
gewisse Kontrolle über die Situation. Und der Vorzugsstatus der
Katze im Netz der Stadt immunisiert sie wirksam gegen das Gemetzel
ringsum.
    »Hallo Manni«, sagt das Miezeding. »Dein Vater
sorgt sich um dich. Eigentlich solltest du ja in deinem Zimmer sein,
er sucht dich. Dein großes Selbst hat ein Hintertürchen
für dich geschaffen, stimmt’s?«
    Manni nickt ruckartig und reißt dabei die Augen auf. Am
liebsten würde er brüllen und dem Miezeding eins
überbraten, aber er kann es nicht. »Was bist du?«
    »Ich bin dein… Märchenonkel.« (* Im Original fairy godfather, Wortspiel (godfather = Patenonkel sowie
Gottvater), da die K.I. Aineko ja eine gottähnliche Wesenheit
ist; Anm. d. Ü.) Die Katze starrt ihn eindringlich an.
»Weißt du, ich glaube, du bist deinem Archetypus wirklich
nicht besonders ähnlich, du bist nicht so wie er in deinem
Alter. Aber, ja doch, ich denke, alles in allem wirst du’s schon
schaffen.«
    »Was schaffen?« Manni lässt den Motie-Arm verwirrt
sinken.
    »Für mich die Verbindung zu deinem anderen Selbst
herzustellen. Zu deinem großen Selbst.«
    »Das kann ich nicht…«, erklärt Manni. Doch ehe
er fortfahren kann, ächzt der Geröllbrocken leicht und
rotiert unter der Katze, die aufstehen muss. Ihrerseits wirbelt sie
jetzt herum und sträubt vor Ärger den Schwanz.
    Mannis Vater tritt aus dem T-Tor und sieht sich um, das Gesicht
eine einzige Maske der Missbilligung. »Manni! Was denkst du dir
dabei, hier herumzuhängen? Komm sofort…«
    »Er ist mit mir zusammen hier, junger
Geschichtsforscher«, unterbricht ihn die Katze, aufgebracht
darüber, dass Sirhan ausgerechnet jetzt hier auftauchen muss.
»Ich hab ihn mir gerade geschnappt.«
    »Bei der Beaufsichtigung meines Sohns kann ich auf deine
Hilfe verzichten, verdammt noch mal! Eigentlich…«
    »Mom hat gesagt, ich dürfte…«
    »Und was ist das da an deiner Sense?« Mit finsterem
Blick nimmt Sirhan die ganze Szene in sich auf, das spontane Befreien-wir-das-Folteropfer- Spiel,den Scheiterhaufen und die
Schreie. Die Maske der Missbilligung

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