Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Accelerando

Accelerando

Titel: Accelerando Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Stross
Vom Netzwerk:
gehen
unsichtbare Strahlungen zu den Kleidungsstücken aus, die kreuz
und quer über den Fußboden verteilt sind –
Kleidungsstücke, die vor niemals schlafender Intelligenz so
sprühen, dass die Funken auch auf die Koffer, das
Handgepäck und sogar den Schwanz der Katze überspringen,
der selbst eine recht sensible Antenne darstellt. Die Katze
registriert es und empfindet es keineswegs als angenehm.
    Die beiden Menschen haben gerade miteinander geschlafen. Das tun
sie jetzt nicht mehr so oft wie in den ersten Jahren, dafür aber
mit größerer Zärtlichkeit und mehr Erfahrung. Immer
noch baumeln die Bondage-Utensilien, knallig rosafarbene Hello-Kitty- Klebestreifen, von den Bettpfosten herunter, und
ein Klumpen von programmierbarem Memory- Kunststoff kühlt
auf dem Nachttisch ab. Der Mann hat sich so ausgestreckt, dass sein
Kopf und Oberkörper in der linken Armbeuge der Frau und an deren
Schulter ruhen. Als die Katze ihre Sicht auf Infrarot umstellt, merkt
sie, dass die Frau glüht. Ihre Kapillargefäße sind so
erweitert, dass die Durchblutung in der Gegend von Hals und Brust
gefördert wird.
    »Ich werde alt«, murmelt der Mann. »Werde immer
langsamer.«
    »Nicht da, wo es wichtig ist«, erwidert die Frau und
drückt zart auf seine rechte Gesäßbacke.
    »Nein, ich bin mir völlig sicher«, widerspricht er.
»Die Teile von mir, die nach wie vor in diesem alten
Schädel existieren… Wie viele Prozessoren-Modelle kannst du
mir nennen, die mehr als dreißig Jahre nach ihrer Herstellung
noch benutzt werden?«
    »Du denkst wieder über die Implantate nach«, sagt
sie vorsichtig. Der Katze fällt ein, dass das ein wunder Punkt
ist. Während die im Gehirn eingekapselten Implantate früher
nichts als medizinische Hilfsmittel waren, um Blinden zum Sehen und
Autisten zum Sprechen zu verhelfen, sind sie mittlerweile, bei der
nachfolgenden Generation, unerlässliche Accessoires. Aber der
Mann zögert immer noch, sich damit auszurüsten.
    »Es ist nicht mehr so riskant wie früher. Wenn sie beim
Implantieren etwas verpfuschen, gibt es immer noch
Möglichkeiten, das Wachstum der Nerven wieder anzukurbeln, und
billige Stammzellen, die für Ersatz sorgen. Ich bin sicher, dass
einer deiner Sponsoren die Zusatzkosten übernehmen
könnte.«
    »Still, ich denke immer noch darüber nach.« Er
schweigt eine Weile. »Gestern war ich nicht ich selbst, sondern
ein anderer. Jemand, der zu langsam war, um mithalten zu können.
Das rückt alles in ein neues Licht. Ich habe befürchtet, in
biologischer Hinsicht meine Flexibilität zu verlieren, Angst
davor gehabt, in einem überholten Schädelklumpen
eingesperrt zu sein, während alles andere sich vorwärts
bewegt. Aber wie viel von mir existiert heute überhaupt noch
außerhalb meines eigenen Kopfes?« Eine seiner
Außenverbindungen produziert eine animierte Bildsequenz und
übermittelt sie an das innere Auge der Frau, die über
seinen schwarzen Humor grinsen muss. »Allerdings wird es schwer
sein, sich mit der neuen Schnittstelle und all den Veränderungen
vertraut zu machen, die sie mit sich bringt.«
    »Das wirst du schon schaffen. Außerdem kannst du dir
jederzeit, ohne dass es jemand mitbekommt, Novotrophin-B verschreiben
lassen.« Das Anregungsmittel für neuronale Rezeptoren wird
vor allem in der klinischen Altenpflege eingesetzt, es stimuliert das
Interesse am Neuen. Kombiniert mit MDMA, auch als Ecstasy bekannt,
wird es auf der Straße unter dem Namen Sensawunda gehandelt. »Das müsste deine Konzentration eigentlich
so lange aufrechterhalten, bis du dich an die Implantate gewöhnt
hast.«
    »Was wird nur aus diesem Leben, wenn selbst ich mit dem Tempo
der Veränderungen nicht mehr zurechtkomme?«, fragt er mit
einem Stoßseufzer zur Zimmerdecke.
    Die Katze, die sich über den Anthropozentrismus des Mannes
ärgert, lässt den Schwanz hin und her peitschen.
    »Du bist mein Schild gegen den Ansturm der Zukunft«,
bemerkt die Frau scherzhaft und legt die Hand um seine Genitalien. Im
Moment hat die Biologie bei ihr die Oberhand, wie der Katze
auffällt. Von dem, was das Gehirn der Frau nebenbei in
unregelmäßigen Abständen herunterlädt, nutzt sie
vor allem ETItalk@home, eines der verbreiteten
Entschlüsselungsprogramme. Derzeit versucht sie damit die fremde
Grammatik der Botschaft zu knacken, hinter der Manfred Aliens
vermutet. Aliens, die womöglich Anwärter auf
Bürgerrechte sind.
    Einem Drang nachgebend, den sie nicht in Worte fassen könnte,
streckt die Katze Fühler nach

Weitere Kostenlose Bücher