Ach du lieber Schwesternschreck!
beleidigt. »Du hast aber auch gar keine Ahnung«, sagt er ganz streng und faltet den Brief hastig wieder zusammen. Er will schon wieder gehen. Seufz.
»Nicht gehen!«, sag ich zu Flo. »So einen Brief kannst du doch wirklich nicht schreiben.«
Das sieht er ein. »Aber trotzdem sollst du nicht so doofe Sachen sagen.«
»Schon gut«, murmel ich. »Also: >Sehr verehrtes Fräulein< können wir nicht schreiben. Das steht schon mal fest. Dann schreiben wir eben: Jemand liebt dich. Und der, der dich liebt, will sich um 17.00 Uhr mit dir hinter der Schule bei den Fahrradständern treffen! <«
»Jemand liebt dich, jemand liebt dich...< Das kannst du doch nicht sagen.« Flo ist ganz aufgeregt. Er tippt sich an die Stirn. »Du bist doof.«
Jetzt bin ich zur Abwechslung beleidigt. Aber ich bin ja schon zu Hause. Ich kann also nicht einfach nach Hause rennen, nur weil ich beleidigt bin. Also gehe ich auch nicht, hole stattdessen zwei weiße Blätter Papier, drücke Flo einen Stift in die Hand und sage: »Jetzt schreibt jeder erst mal für sich einen Brief und dann schauen wir uns beide Briefe an. Abgemacht?«
»Abgemacht.«
Wir geben uns die Hand, wie Blutsbrüder das tun, dann setzt Flo sich links, ich mich rechts an meinen Schreibtisch und wir kauen auf unseren Bleistiften herum.
»Schwer«, seufzt Flo und schreibt ein Wort oben auf sein Blatt.
»Verteufelt schwer«, sage ich.
Nach zehn Minuten sind beide Blätter noch leer! Flo hat nur das Wort »Brief« da stehen. Wir müssen schrecklich lachen und uns etwas anderes ausdenken.
»Dichten«, sagt Flo. Aber Dichten ist auch nichts. Gedichte kann man nicht so auf Befehl schreiben. Das merken wir. Unsere Bleistifte sind schon fast abgekaut und unsere Blätter sind immer noch leer.
»Telefonieren«, sag ich.
»Schwer.« Flo kratzt sich am Kopf.
»Aber probieren können wir es doch. Hast du die Nummer?«
Flo kann die Nummer schon auswendig.
Ich wähle.
Flo hält den Hörer in der Hand. Er sagt sich einen Satz auf. Immer wieder. Seine Lippen bewegen sich, aber verstehen kann ich ihn nicht.
»Hallo, hier Viola Jarusch.«
Flo hält den Atem an. Flo öffnet den Mund. Flo schweigt.
»Wer ist da?«, fragt Viola.
Flo öffnet den Mund. Flo atmet schwer. Flo schweigt.
»Hallo, hallo, ist da jemand?«
Flo schließt die Augen. Flo öffnet den Mund. Flo schweigt. Flo legt den Hörer auf.
»Geht nicht«, sagt er.
Wir schweigen. Wir denken.
»Warum gehst du nicht einfach zu ihr und sagst: Du, ich will dich zu einem Eis einladen.«
»Weil das nicht geht.«
»Und warum nicht?«
»Weil das zu wenig sagt.«
»Dann sag doch: Du, ich glaub, ich lieb dich. Ich will dich kennen lernen.«
»Das geht auch nicht.«
»Und warum nicht?«
»Darum. Einfach darum. Weil man Angst hat, dass sie einen nicht mag, und dann ist es aus.« Flo wird ganz rot und ernst.
»Und warum ist es dann aus?«
»Weil...« Er überlegt. »Weil... ach, das verstehst du nicht. Weil man halt immer dran denken muss. Auf dem Schulweg, zu Hause, beim Frühstück, beim Einkaufen, immer.«
»Und dann ist dieses immer weg?«
»Ja, dann ist es weg.«
»Ich glaube, ich verstehe. Wenn bei mir das immer weg wäre, dann würde ich auch nichts riskieren.«
Aber eins versteh ich noch nicht. »Warum kann man nicht schreiben: Du, ich glaube, ich mag dich. Ich möchte dich kennen lernen? Eigentlich ist das doch das Ehrlichste.«
»Nein«, sagt Flo, »es geht nicht.«
Schließlich entwerfen wir vier Typen von Liebesbriefen.
Typ 1 sieht so aus:
Willst du mit mir gehen ?
Ja □
Nein □
Zutreffendes ankreuzen.
Unterschrift: ................
Dieser Brief ist natürlich ganz neutral.
Typ 2:
Du, ich würde mit dir mal gerne ein Eis essen. Kommst du um fünf Uhr in die Eisdiele?
Bei diesem Brief bleibt alles offen. Man sagt nichts über den Grund und über die eigenen Gefühle.
Typ 3:
Du, ich glaube, ich mag dich. Ich möchte dich kennen lernen.
Der ist ehrlicher und offener. Der sagt auch etwas über die Gefühle aus.
Typ 4:
Ich mag dich, seitdem ich dich zum ersten Mal gesehen habe. Ich mochte es nur nicht sagen. Aber jetzt sag ich es, weil ich gerne mit dir gehen möchte.
Der Brief legt alles offen.
Flo entschließt sich für Typ 2.
Das Ganze auf einem einfachen weißen Briefbogen. Danach werfen wir gemeinsam den Brief in den Briefkasten. Mal sehen, was draus wird.
Als Flo nach Hause gegangen ist, nehme ich mein Tagebuch und schreibe alles auf, was heute war. Ich
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