Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
dass der Blaubärtige bereits mehrfach verheiratet gewesen sein soll, und niemand weiß, was aus diesen Ehefrauen geworden ist. Dennoch gelingt es ihm, eine »Dame von Stand« zu überreden, dass sie samt ihren beiden Töchtern einige Zeit in einem seiner Landhäuser zubringt – die beiden Mädchen erleben dort einen solchen Wohlstand und eine solch bezaubernde Form der » douce vie «, dass die jüngere sich schließlich doch entscheiden kann, den reichen Mann trotz der Gerüchte und trotz seines blauen Barts zu heiraten.
Nachdem sie einen Monat verheiratet sind, erklärt der Blaubart seiner Frau, dass er für einige Wochen verreisen müsse – sie solle einladen, wen immer sie wolle, Feste feiern, und die Schlüssel für Möbelspeicher, Schatztruhen, kurz: Für die Räume im gesamten Haus, wolle er ihr auch dalassen. Sie dürfe alles durchforschen – nur eine kleine Kammer im unteren Stockwerk nicht. Sollte sie dieses Verbot missachten und die Kammer dennoch betreten, habe sie »alles von seinem Zorn zu erwarten.« Sprichts und verschwindet.
Die junge Gattin gibt nun munter Feste, ihre Schwester und ihre Freundinnen bewundern den Reichtum, den die Glückliche erheiratet hat, sie selbst aber spürt, dass es sie unwiderstehlich zu der verbotenen Kammer im unteren Stockwerk zieht. Sie gibt ihrer Neugier endlich nach, schließt die Kammer auf – und entdeckt an den Wänden die ermordeten, aufgehängten früheren Frauen des Blaubart. Vor Schreck lässt sie den Schlüssel fallen – in die große Blutlache, die den ganzen Boden der Kammer bedeckt.
Nachdem die junge Frau die Kammer verlassen und sich ein wenig beruhigt hat, sieht sie, dass an dem Schlüssel ein Blutfleck ist. Ähnlich wie sich die Shakespear’sche Lady Macbeth darum bemüht, das Blut von ihren Händen zu waschen, versucht nun die arme Madame Blaubart, den Schlüssel vom Blutfleck zu reinigen – ebenso vergeblich.
Ihr Mann kommt überraschend früher von seiner Reise zurück und will die Schlüssel wiederhaben. Madame Blaubart versucht die Rückgabe des verbotenen Schlüssels hinauszuzögern, indem sie behauptet, sie habe ihn verlegt – doch letztlich muss sie dem Drängen ihres Mannes nachgeben. Und dieser entdeckt den Blutfleck sofort. Seine Reaktion: »Es gilt zu sterben, Madame!«
In Todesangst schickt die junge Frau ihre Schwester auf den Turm, damit sie nach den Brüdern Ausschau halte, die versprochen hatten, sie am heutigen Tag zu besuchen. Die Brüder kommen just in dem Moment, in dem Blaubart ins Zimmer seiner Frau stürmen will, um diese zu köpfen. Es gelingt ihnen, Blaubart zu töten, bevor dieser die Rache an ihrer Schwester vollziehen kann. Die solchermaßen zur Witwe Gewordene erbt sein gesamtes Vermögen – das sie im Wesentlichen dazu verwendet, ihre Schwester mit einem Edelmann und sich selbst mit einem »höchst ehrenwerten« Mann zu verheiraten, der sie »die schlimme Zeit vergessen lässt, die sie mit Blaubart verbracht hatte.«
Liest man dieses Märchen, drängt sich die Frage auf, wer hier eigentlich der bad guy ist: Der tyrannische, blutrünstige Blaubart? Oder das neugierige Frauenzimmer, das seine Nase in verbotene Angelegenheiten steckt?
Wie in der damaligen Zeit nicht unüblich lässt Perrault auf das Märchen eine »Moral von der Geschicht’« folgen, sie lautet: »Die Neugier, trotz all ihrer Reize, kostet oft reichlich Reue. Jeden Tag sieht man tausend Beispiele dafür geschehen. Das ist, wenn es den Frauen auch gefällt, ein ziemlich flüchtiges Vergnügen, sobald man ihm nachgibt, schwindet es schon, und immer kostet es zuviel.«
Auch wenn in dieser Moral hervorgehoben wird, dass die tausend Beispiele für die Schädlichkeit der weiblichen Neugier täglich zu besichtigen seien, fällt es dennoch schwer, hierin nicht in erster Linie einen Kommentar zu dem Sündenfall der Menschheit – der Vertreibung aus dem Paradies zu erkennen. Bekanntermaßen war Eva es, die sich von der Schlange überreden ließ, vom verbotenen Baum der Erkenntnis zu essen – und bezeichnenderweise gibt es eine spätere Bearbeitung des Blaubart-Stoffes durch Ludwig Bechstein, in der Blaubarts junge Gattin selbst zögert, die verbotene Kammer zu öffnen, und erst von ihrer Schwester, der Schlange, dazu verführt wird.
Doch sollte dies wirklich die Moral von der Geschicht’ sein – warum lässt Perrault seinen Blaubart dann nicht die junge Gattin tatsächlich ermorden, sondern im Gegenteil: Lässt sie von ihren Brüdern erretten und
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