Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
eine Botschaft des Märchens, wie Perrault es erzählt. Doch gleichzeitig, so scheint es, ist dem jungen Bürgertum nicht restlos wohl gewesen bei seinem beginnenden Ungehorsam gegenüber den früheren Autoritäten. Zum einen wird die Angst eine Rolle gespielt haben, die alten, sich bis zur Französischen Revolution 1789 ja noch in Amt und Macht befindlichen Herren könnten jederzeit rächend zurückschlagen. Zum anderen muss das vorrevolutionäre Bürgertum bereits eine Ahnung beschlichen haben, dass es zu Chaos und neuer Barbarei führen wird, wenn alle Autorität infrage gestellt, jedes Verbot nur als Aufforderung begriffen wird, es zu überschreiten.
Dies erklärt, warum Perrault die Neugier und den Ungehorsam der Madame Blaubart nicht als Ausdruck des neuen Zeitgeists vorbehaltlos gutheißen will, sondern stattdessen sorgsam darauf bedacht scheint, mit der feudalen Ordnung nicht auch die patriarchale ins Wanken zu bringen. Die Forderung, der weibliche Teil der Gesellschaft möge sich der forschenden Neugier und des Ungehorsams enthalten, und sich stattdessen weiterhin in Folgsamkeit üben – eine Forderung, die eigentlich den Grundprinzipien des sich emanzipierenden, nach Autonomie strebenden Bürgertums widerspricht -, diese Forderung würde somit der Sorge entspringen, mit einer restlos von Glauben und Autoritätshörigkeit abgefallenen Welt könne es nicht gut enden. Anders formuliert: Der Verzicht auf Emanzipation war der Preis, den die Frauen dafür zahlen sollten (und auch gezahlt haben), dass sich die Männer von Gott und anderen absoluten Autoritäten emanzipieren konnten.
In der Tat spielt dieser Gedanke eine zentrale Rolle bis in die heutige Diskussion um Geschlechterrollen hinein. Es gibt nicht wenige Feministinnen unserer Tage, die dem Bestreben von Frauen, an allen Bereichen männlicher Lebens- und Arbeitswelt gleichberechtigt teilnehmen zu wollen, vorwerfen, damit zum endgültigen Zerfall und zur Verrohung der Gesellschaft beizutragen, und stattdessen von Frauen verlangen, sich in ihrer Wertordnung den klassisch männlich-bürgerlichen Zielen: Durchsetzen der eigenen Interessen, beruflicher Erfolg, Gewinnmaximierung, zu verweigern.
Aufgewecktes Frauenzimmer sucht Abenteuer
Deutlich gelassener sieht Ludwig Tieck den weiblichen Drang zur Welterkundung. Von ihm stammt die nächste wichtige Bearbeitung des Blaubart-Stoffes hundert Jahre nach Perrault an der Grenze zum 19. Jahrhundert. Gleich zweimal hat sich der romantische Dichter der Figur angenommen: in seiner umfangreichen Erzählung Die sieben Weiber des B laubart ebenso wie in seinem Theaterstück Ritter Blaubart. In beiden Werken heißt der Blaubart »Peter Berner« und ist ein gefürchteter Raubritter. Die Dame, der das zweifelhafte Glück zuteil wird, ihn zu ehelichen, ist eine »Agnes von Friedheim«, die sich bereits bei ihrem ersten Auftritt als quecksilbriger, höchst neugieriger Geist erweist. So verkündet sie in dem Theaterstück: »Ich möchte immer auf Reisen sein, durch unbekannte Städte fahren, fremde Berge besteigen, andre Trachten, andre Sitten kennenlernen. Dann mich wieder ganz allein in einem Palaste einsperren lassen und die Schlüssel zu jedem Gemach, zu jedem Schranke in Händen haben; dann würde eins nach dem andern aufgeschlossen. [...] Ich habe mir schon oft gedacht [...] wie ich aus einem Zimmer in das andere eilen würde, immer ungeduldiger, immer neugieriger.«
Agnes’ Wunsch, in einem fremden Palast samt Schlüsselbund eingeschlossen zu sein, geht dank Blaubart prompt in Erfüllung. Doch als sie vor der Kammer steht, die Blaubart ihr in bekannter Manier verboten hat, packen sie Zweifel, ob sie diese Übertretung wirklich riskieren soll. »Hüte dich«, warnt sie sich selbst, als hätte sie eben noch die erste »Moral« zu dem Perrault’schen Blaubart gelesen: »Das, was dich jetzt peinigt, ist am Ende die berüchtigte weibliche Neugier.«
Auch wenn der – wohl kaum ganz ernst gemeinte – Name »von Fried heim« Agnes als Adlige ausweist, zeigt sie sich im nächsten Satz als waschechte Tochter der Aufklärung, die das Recht zu zweifeln, Gründe genannt zu bekommen, längst und ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nimmt. Tieck lässt sie räsonieren: »Es muss doch irgendeinen Grund haben, warum er es mir so strenge verboten hat, und den Grund hätte er mir sagen sollen, so wäre meine Folgsamkeit ein vernünftiger Gehorsam, aber so handle ich nur aus einer blinden Unterwürfigkeit; eine Art
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