Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
auf diese Weise zur reichen Witwe werden, die sich glücklich wiederverheiraten darf? Da verfuhr der alttestamentarische Schöpfer doch deutlich strenger mit der neugierigen Sünderin, indem er ihr als Schicksal auferlegte, ihre Kinder fürderhin unter Schmerzen gebären zu müssen und nach dem Mann zwar Verlangen zu haben – vom diesem jedoch beherrscht zu werden.
Die Frage, wie es um die Herrschaft von Mann über Frau, die Eva als biblische Strafe für ihre Neugier zu erdulden hatte, in seinen Tagen bestellt ist, beschäftigt Perrault in einer zweiten »Moral«, die er dem Märchen beifügt.
Sie lautet: »Wenn man auch noch so wenig Scharfsinn hätte und verstünde kaum das Zauberbuch der Welt, man sähe rasch, dass diese Geschichte ein Märchen aus vergangener Zeit ist. Es gibt keine so schrecklichen Gatten mehr, und keinen, der das Unmögliche verlangt, wenn er unzufrieden oder eifersüchtig ist. Bei seiner Frau sieht man ihn Schmeichelreden führen, und welche Farbe sein Bart auch haben mag, man kann kaum erkennen, wer von beiden der Herr ist.«
Es ist leicht, sich über diese Bemerkung lustig zu machen, sie als die übertriebene Empfindlichkeit eines Mannes zu deuten, der bereits bei den ersten Anzeichen einer weiblichemanzipatorischen Morgenröte das gesamte Patriarchat in Gefahr sieht, das sich nüchtern betrachtet im späten 17. Jahrhundert bester Wirkmacht und Geltungskraft erfreute. Aber so einfach sollte man bzw. frau es sich nicht machen. Die Ambivalenz, die Perrault im Umgang mit der Blaubart-Gattin an den Tag legt, verrät vielmehr etwas über die Risse und Selbstzweifel, die das in jener Zeit entstehende Bürgertum zumindest unterschwellig geplagt haben müssen.
Die Abkehr von unhinterfragten Autoritäten läutete das Ende der christlich-feudalen Ordnung ein, die Europa auch im 17. Jahrhundert noch bestimmte. Und so wie Ungehorsam den Beginn der bürgerlichen Emanzipation auf gesellschaftlicher Ebene bedeutete – bedeutete Neugier, Hinterfragen, In-Zweifel-Ziehen den Beginn der geistigen Emanzipation des Menschen bereits seit der Antike.
Die beiden Zentrallaster, vor denen das Blaubart-Märchen angeblich warnen will: Neugier und Ungehorsam, entpuppen sich bei näherer Betrachtung just als jene Kräfte, die die geistige und gesellschaftliche Emanzipation des Bürgertums antrieben.
Vor diesem Hintergrund lässt sich besser verstehen, warum es Perrault nicht übers Herz brachte, »seine« Blaubart-Gattin am Schluss tot in der Kammer enden zu lassen. Selbst wenn Blaubart von ihm nicht explizit als Feudalherr, als Vertreter der alten Gesellschaftsordnung benannt wird, trägt er in seiner Maßlosigkeit und Unbeherrschtheit dennoch alle Züge der verabscheuten alten Tyrannen, deren Willkür sich der Bürger nicht länger unterwerfen wollte.
In der französischen Volksmythologie war die Figur des Blaubart ohnehin mit der realen, historischen Schreckensfigur des Gilles de Rais zu einer Art Übermonster verschmolzen. Gilles de Rais hatte als Marschall 1429 an der Seite von Jeanne d’Arc erfolgreich gegen die Engländer gekämpft, war in den darauf folgenden Jahren jedoch zum berüchtigten Kinder- vor allem Knabenmörder mutiert. Jahrelang hatten die Bauern und die einfache Bevölkerung der Umgebung ohnmächtig mit ansehen müssen, wie ihre Kinder in den diversen Schlössern und Burgen des Herrn de Rais auf Nimmerwiedersehen verschwanden. Erst als der Marschall militärisch überflüssig geworden war, seinen enormen Reichtum verschleudert hatte und somit keine Bestechungsgelder mehr zahlen konnte, gaben die zuständigen Herren aus Adel und Geistlichkeit Gilles de Rais zum Abschuss frei. Am 26. Oktober 1440 wurde er hingerichtet. Perrault wird beim Niederschreiben seines Märchens samt dessen doppelter »Moral« diesen Vertreter des feudal-sadistischen Herrschertypen par excellence im Kopf gehabt haben. Denn außer dem Sadismus und dem sagenhaften Reichtum gibt es eine weitere Gemeinsamkeit zwischen seinem Blaubart und dem historischen Gilles de Rais. Letzterer hat bei seinem Prozess unter anderem gestanden, Satanismus und Alchimie betrieben zu haben. Und wer, wenn nicht der Teufel selbst, soll dem Perrault’schen Blaubart verraten haben, wie man einen Schlüssel so präpariert, dass ein Blutfleck, den man auf der einen Seite abgewischt hat, prompt auf der andere Seite wieder erscheint?
Die Zeit der feudalen, irrationalen Willkürherrschaft ist vorbei, die alten Blaubärte müssen ab – das ist die
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