Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)
Mächten unhinterfragt unterwerfen. Der Mann fordert durch sein Handeln Gott heraus, beleidigt ihn – die Frau soll Gott wieder versöhnen. In der Welt des Fliegenden Holländers wird die Rolle des Erlösers, die im christlichen Kosmos Jesus vorbehalten ist, der Frau aufgebürdet. Eva soll den Schaden, den sie im Paradies angerichtet hat, selbst wiedergutmachen. Wobei das »Gutmachen« nicht innerweltlich zu verstehen ist: Die einzige Erfüllung, die dem l’homme m audit und der unglückseligen Frau, die ihn liebt, bleibt, ist der gemeinsame Liebestod.
Im Zeichen der Erlösungshoffnung steht auch Herzog Blaubarts Burg, die Oper, zu der Bela Baläzs das Libretto schrieb und die Bela Bartök 1910/11 vertonte. Hundert Jahre nach LudwigTieck erfährt der Stoff hier abermals eine dramatische Veränderung. Gleich zu Beginn lassen Baläzs und Bartök die Frau, die bei ihnen Judith heißt, erzählen, dass sie Herzog Blaubart weder wegen seines Reichtums auf die Burg gefolgt ist – wie es die junge Gattin bei Perrault getan hatte -, noch wird sie wie die Tiecksche Agnes von reiner Abenteuerlust getrieben. Sondern weil sie Blaubart liebt. Sie hat ihn gegen den Willen von Vater, Mutter und Bruder geheiratet, hat für ihn sogar – wie Senta im Fliegenden Holländer - den Verlobten verlassen. Die düstere Aura des Mannes hat sie nicht abgestoßen, sondern vom ersten Moment an fasziniert. Deshalb erschrickt sie auch nur kurz, als sie erkennt, wie dunkel und fensterlos Blaubarts Burg ist, um sogleich zu verkünden: »Deiner Feste kalte Tränen will ich trocknen mit meinem Haar. Tote Steine mach ich glühen, mit dem weißen Leibe glühen! Darf ich’s Liebster? Darf ich’s Liebster? Herzog Blaubart! Liebe soll den Fels erwärmen, Wind soll deine Burg durchwehen, Glück zu Gast sein, Sonne scheinen, Glück zu Gast sein, Freude soll die Räume füllen.«
Anders als Senta geht es Judith – zumindest auf den ersten Blick – aber nicht darum, für Blaubart zu sterben, ist es keine Todessehnsucht, die sie zu ihm hingezogen hat, sondern sie glaubt, durch ihre Lebendigkeit, durch ihre Liebe den finsteren Mann im Leben retten zu können. Als erste Maßnahme in diesem Erlösungsprogramm fordert sie Blaubart auf, die verschlossenen Türen zu öffnen. In ihrem Drang, seine Burg gründlich lüften zu wollen, ähnelt sie jenen Frauen von heute, die zum ersten Mal die Wohnung ihres Liebesobjekts betreten – und feststellen, dass in dieser Junggesellenbude schleunigst sauber gemacht werden muss. Doch die dissonante Musik und Blaubarts unheilvolle Ankündigung, dass sein Haus »ihr niemals helle« werden könne, machen klar, dass hier mehr verborgen liegt als unter dem Sofa vergammelnde Pizzakartons und schmutzige Socken. In der Tat gibt gleich die erste Tür, die Judith öffnet, den Blick auf Blaubarts Folterkammer frei. In der zweiten sind seine Kriegsgeräte gelagert.
Judith besteht diese ersten Proben – zwar sieht sie das Blut, das überall an den Waffen klebt, erkennt, wie »gewaltig grausam« ihr Blaubart ist, schreckt jedoch nicht vor ihrem neuen Gatten zurück. Im Gegenteil. Sie begrüßt das Licht, das nun in die Burg zu fallen beginnt. Und, so darf man vermuten, sie genießt die Macht, die sie über Blaubart zu gewinnen scheint. Blaubart selbst spürt, wie Judiths Vordringen in sein Inneres, zu seinen streng gehüteten Geheimnissen, ihn erschüttert – und bei aller Gewalttätigkeit gleichzeitig befreit. Er singt: »Meiner Feste Grund erzittert, aufsteh’n Türen alter Kerker. Judith! Judith! Kühl und süß ist’s, wenn die offnen Wunden bluten.«
War die Übergabe der Schlüssel samt der Ermahnung, alles öffnen zu dürfen außer der verbotenen Kammer, bei Perrault und bei Tieck noch eine vergleichsweise schlichte »Gehorsamsprüfung«, wird sie bei Baläzs/Bartök zum eigentlichen Kern des Werks, zu einem wechselvollen Ringen zwischen Judith und Blaubart, bei dem es letztlich weniger darum geht, ob Judith ihrem Blaubart gehorcht, sondern darum, wie viel »Türöffnen« ihrer beider Liebe verkraftet. Warum sonst sollte Blaubart Judith nach den ersten beiden Türöffnungen ermahnen: »Achte unser, Judith, achte!« So hätte kein Perrault’scher und kein Tieck’scher Blaubart mit seiner Gattin gesprochen. Und tatsächlich ist der Balázs’-Bartók’s che Blaubart erstaunlich schnell bereit, Judith weitere Schlüssel auszuhändigen, nachdem er gesehen hat, dass die Öffnung der ersten beiden Türen weder sie noch ihn
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