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Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition)

Titel: Ach, Harmonistan: Deutsche Zustände (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thea Dorn
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hat zusammenbrechen lassen. Auch er scheint mittlerweile wenigstens die vage Hoffnung zu haben, dass ihre Liebe Bestand haben, ihn von den Dämonen, die er in sich verschlossen hat, befreien könnte.
    Tür um Tür erkundet Judith unter den Augen von Blaubart dessen Reich, entdeckt seine fabelhaften Schätze, seinen Zaubergarten und seine unendlichen Ländereien – ist hingerissen von der Pracht und sieht gleichzeitig das Blut, das davon kündet, auf welche Weise diese Reichtümer erwirtschaftet wurden. Ihrer Liebe zu Blaubart tun auch diese Entdeckungen keinen Abbruch – und lauscht man der Musik, scheint Blaubart selbst von dieser neuen Liebe hingerissen, die trotz aller Schrecken, die seine Vergangenheit zu bieten hat, zu ihm steht. Liest man jedoch den Text, ist deutlich, dass Blaubart diesem »Frieden« nicht traut. Leitmotivisch kehren seine Warnungen an Judith wieder: »Alles schaue, frage nimmer! [...] Küss mich, Judith, frag nicht! [...] Lieb mich, Judith, frag nicht!«
    Die übersteigerte Angst, von der Frau »befragt« zu werden, teilt der Balázs’-Bartók’sche Blaubart mit einer weiteren prominenten Figur aus dem Wagner’schen Heldenkosmos: Mit Lohengrin. Bevor der anonyme Schwanenritter bereit ist, Elsa von Brabant aus der höfischen Intrige zu retten, deren Opfer sie geworden ist, und sie zu heiraten, singt er die berühmten Verse:
    »Nie sollst du mich befragen,
noch Wissens Sorge tragen,
woher ich kam der Fahrt,
noch wie mein’ Nam und Art!«
    Anders als die Judith bei Bartök, die zu keiner Zeit ernsthaft die Absicht äußert, ihren Blaubart in Ruhe zu lassen, verspricht Elsa ihrem Lohengrin, ihn unhinterfragt zu lieben. Und dennoch scheitern beide Frauen auf nahezu identische Weise: Als im Lohengrin die gedemütigte Intrigantin Ortrud versucht, Elsa einzuflüstern, sie müsse ihren Frischvermählten ausfragen – sicher habe er ein dunkles Geheimnis – kann Elsa der Versuchung noch irgendwie widerstehen. Doch in ihrer Hochzeitsnacht, als Lohengrin andeutet, dass er keinem »dunklen« Hintergrund entflohen sei, sondern dass es »Glanz und Wonne« seien, die er zurückgelassen habe, wird Elsa von der Sorge übermannt, Lohengrin nicht halten zu können. Sie deutet seine Worte so, dass es dort, wo er herkommt, eine viel strahlendere Frau gibt, als sie selbst es ist – und dass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis Lohengrin zu dieser Frau zurückkehrt.
    Und so bricht Elsa ihr Versprechen, indem sie Lohengrin nun doch befragt. Und er offenbart ihr, dass er ein Gralsritter ist. Der sie nun verlassen muss, da seine Identität bekannt ist. Elsas Drang zu fragen, kostet sie ihre Liebe – und in einem liebestodartigen Schluss auch das Leben.
    Ganz ähnlich braut sich das finale Unheil in Balázs’ und Bartöks B laubart zusammen: Mitten im zentralen Liebesduett der Oper will Judith wissen: »Sag mir, Blaubart, sag mir eines, wen hast du vor mir besessen?« Und als Blaubart ihr mit einem seiner üblichen »Judith, frag nicht!« antwortet, hakt sie nach: »Waren die andern Frauen lieber als ich? Schöner als ich? Sag doch, sag doch, Herzog Blaubart!«
    So nötigt sie Blaubart, auch noch die allerletzte Kammer zu öffnen – aus der tatsächlich Blaubarts frühere Frauen gespenstisch schön herausgeschritten kommen. Und die zuvor so entschieden, selbstbewusst handelnde Judith steht plötzlich gebrochen neben diesen Frauen, weil sie zu erkennen glaubt: »Wie sie schön sind, wie sie reich sind, ach, wie arm bin ich dagegen.« Jeden einzelnen Auftritt kommentiert sie mit: »Nie kann ich mich mit ihr vergleichen.«
    Blaubart legt ihr schließlich das kostbarste Gewand an, erklärt Judith, dass sie »schönste«, die »allerschönste« seiner Frauen gewesen sei – und sperrt sie zusammen mit ihren Vorgängerinnen in die letzte Kammer zurück. Auch die anderen Türen, die Judith geöffnet hatte, schließen sich wieder, und Blaubart kann nur noch feststellen: »Nacht bleibt es nun ewig, ewig, ewig... ewig...«
    Judiths Versuch, Blaubart aus seiner Finsternis zu befreien, und Judith selbst scheitern also nicht an ihrer Neugier, an ihrem Ungehorsam per se. Der Balázs’-Bartók’sche Blaubart ist »modern« genug, um zu erkennen, dass Judiths Inihn-Dringen durchaus Befreiendes hat. Die fatale Grenze überschreitet Judith erst, indem sie fordert: »Ich will nicht, dass auch nur eine deiner Türen mir verschlossen.«
    So wie der Mann erst Ruhe gibt, wenn er die Welt zerlegt hat – gibt die Frau erst

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